Unser Senf: Warum das Schwimmbad immer noch leiwand ist
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal erzählt unsere Redakteurin, warum Schwimmbäder sie nostalgisch machen und warum sie auch heute noch ziemlich leiwand sind.
Die Wiener Schwimmbäder sind längst wieder gut gefüllt. Und schon werde ich heimgesucht von hartnäckigen Flashbacks an sepiagetränkte Kindheitstage. Also hereinspaziert in mein Kuriositätenkabinett der verqueren Nostalgie. Aber Vorsicht, Rutschgefahr!
Volle Dröhnung Nostalgie
Oh Schwimmbad, du rustikale Sardinenbüchse der sonnenverbrannten Bierbäuche, was hast du uns als Kinder und Jugendliche für wunderbare Zeiten beschert. In der Früh sprangen wir aus dem Bett in dem Wissen, den ganzen Samstag im Gänsehäufel, im Schafbergbad oder – in meinem Fall – im Schwechater Freibad zu verbringen. Während die Eltern noch schlaftrunken die Kühlbox zum Bersten bringen, Sonnencreme in die Bauchtaschen – ja, die gab’s damals auch schon! – packen und unsere Schwimmflügerln und Badetücher in die Badetasche stopfen, würden wir am liebsten schon im Auto warten.
Gleich geht’s los, gleich geht’s los! Ein ganzer Tag Picknick-Feeling auf Badetuchteppichen oder Burgen aus Liegen, hin- und herjagen zwischen Swimming Pool, bedrohlich hohem Sprungbrett und Kantine – oder vielleicht sogar von Trampolin zu Beachvolleyball zu Minigolf. Das alles begleitet vom sanften doch steten Geruch nach Nivea-Sonnencreme. Oh Schwimmbad, du Laufsteg viel zu locker sitzender Speedos, was hast du uns den Sommer versüßt!
Realitätswatschen
So viel zur Sepia-Abteilung dieses Rückblicks. Irgendwann hat uns im Jugendalter dann jemand mit wissendem Gesichtsausdruck erklärt, dass der typische Schwimmbad-Geruch, der für uns so viele Jahre der olfaktorische Soundtrack des Sommers war, daher kommt, dass das Urin der vielen Leute mit dem Chlor im Wasser reagiert. Von da an ging’s bergab. Zusehends fällt uns nun auf, dass es besonders in der Hochsaison verdammt mühsam ist, zwischen all der ledrigen Haut noch ein grünes Plätzchen zu ergattern.
Hat man eins gefunden, sitzt man meist erschöpft keuchend in der prallen Sonne am letzten Eck des Areals und muss in regelmäßigen Abständen den Beachvolleyballer*innen ihren Ball zurückschupfen. Super. Auch das bacherlwarme Wasser bringt bei 50 Grad im Schatten – oder in unserem Fall: 1.000 Grad in purer Sonne – nur wenig Abkühlung. Und Spaß macht das Planschen als eingepferchte Gruppenübung in der kollektiven Urinsuppe sowieso eher nicht. Besonders wenn auch noch alle paar Minuten das Kinderbecken nebenan kreischend evakuiert werden muss, weil da schon wieder „etwas schwimmt“. Igitt.
Perspektive wechseln
Was hat sich also verändert? Besitzt man als Kind einen bestimmten Upload-Filter im Hirn, der Grind schlichtweg nicht hochlädt? Oder sind wir als Erwachsene langsam aber sicher zu Spießer*innen geworden? Ich behaupte: weder noch. Wir sehen das Freibad nur aus falscher Perspektive. Denn seien wir uns mal ehrlich: Was das freie Planschen damals so wunderbar gemacht hat, war natürlich einerseits der kindliche Spaß am Planschen selbst. Andererseits aber das Ambiente, das Feeling, das Drumherum, auf das man sich eben wieder einlassen muss.
Schwimmbad, das war rosa und hellgelbes Softeis im Stanitzel. Das war Tischtennisspielen in viel zu großen Adiletten (damals übrigens noch nicht ironisch gemeint). Das war faul herumkugeln und seichte Zeitschriften lesen, bis die Sonne die sprühende Atmosphäre in orangenes Abendlicht taucht. Schwimmbad, das war Zeit haben. Und die Pommes mit Ketchup und Mayo haben aus dem durchgeweichten, fetttriefenden Papiertrichter sowieso so gut geschmeckt wie sonst nirgends. Besonders das mit Ketchup vollgesogene letzte ledschate Pommes ganz weit unten. Allein schon das war den Ausflug wert. Und ist es noch! Spätestens beim ersten Biss in die quatschige übersalzte Masse hüpft das verkümmerte Kind in uns so hoch wie sonst nur mehr selten.
Fernsehen ohne Fernseher
Davon abgesehen gibt’s im Schwimmbad auch allerhand zum Schauen. Besonders alt eingesessene Badeanstalten wie das Gänsehäufel sind längst eine Art Mikrokosmos des Urwienerischen. Unterm Baum sitzen orange gebräunte Senior*innen, die ihre fast schon unverschämt entspannte Sitzhaltung ihrem Status als rechtmäßige Ganzjahreskabinen-Besitzer*innen verdanken. Sie sind die wahren Routiniers des Freibads – von den schildkrötenhaft langsamen Bewegungen bis zum achtlosen Klatschen der Sonnencreme auf die wehrlosen Schulterblätter. Völlig ungerührt lassen sie das Gewusel aus kreischenden Kindern und schimpfenden Eltern um sich geschehen, als wären sie in einem ganz eigenen Film. Und irgendwo ziehen Jugendliche hinterm Busch mit verstohlenem Blick an ihrer ersten Zigarette, nippen an ihrem ersten Bier. Jemand springt vom Beckenrand, während der Bademeister mit der Eisverkäuferin plauscht. Und die, die statt der Chlorsuppe das Naturgewässer der Alten Donau aufsuchen, kommen sich überlegen vor.
Ein Schluck vom kühlen Radler, ein Blick über den Rand der Sonnenbrille, die fettigen Pommes auf einem Plastiktischerl neben der Liege, das Tschickpackerl im Gras. Und langsam wegdösen, bis einen die kühle Abendbrise wieder aufweckt. Während man sich zu Hause den Tag aus den verklebten Haaren und geröteten Augen spült, wird klar: Im Freibad, da läuft das Leben langsamer. Und morgen wieder. Und auch noch in 50 Jahren.
Apropos plantschen: Unsere Redakteurin erzählt euch, warum sie zusammen baden als Pärchen ziemlich unerotisch findet. Da schmeißt sie sich doch lieber in ihre Jogginghose. All unsere Senf-Artikel findet ihr gesammelt in der Liste Unser Senf. Folgt der Liste für regelmäßige Updates.