Unser Senf: Warum Leute, die ihre Adventkalender plündern, mein Weltbild erschüttern
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal erzählt unsere Redakteurin, warum das willkürliche Plündern des Adventkalenders für sie ein Sakrileg ist.
Meiner Meinung nach gibt es zwei Typen von Menschen: Die, die ihre Adventkalender schön brav Dezembertag für Dezembertag öffnen, und die Wahnsinnigen, die sich nicht an den Zeitplan halten und ihre Kalender willkürlich ausweiden, weil sie die Welt gerne brennen sehen. Ich selbst zähle mich offensichtlich zur ersten Kategorie – den würdevollen Vorfreude-Einteiler*innen, die jeden Tag zufrieden ihre Schoki schnabulieren, während die Monster der zweiten Kategorie mit schokoladenverschmiertem Mund beschämt unter dem Tisch sitzen.
Ohne Vorfreude kein Christkind
Ja, ich bin da vielleicht etwas zu rigoros. Aber man hat mir auch von Klein auf eingebläut, dass ich mir jede Vorfreude radikal verbaue, wenn ich mich nicht an die Termine des Adventkalenders halte. Es wäre so etwas wie ein Sakrileg, weihnachtliche Anarchie quasi, die das Eintreffen des Christkinds riskant aufs Spiel setzen würde. Immerhin hat es in meinem kleinen, nervösen Kinderhirn total Sinn ergeben, dass das Christkind sich im Datum vertun könnte, wenn ich seinen Kalender durcheinanderbringe. Und als pedantische Streberin gibt es doch auch nichts Schöneres, als die Schokolade nach Zeitplan zu essen. Eine pro Tag. Wie ein kleines, zart schmelzendes Heiligtum. Herrlich.
Der geplünderte Adventkalender
Mit der Zeit bin ich aber immer wieder auf Menschen gestoßen, die dieses leicht neurotische Weltbild massiv ins Wanken brachten. Fröhlich kaufte ich vor einigen Jahren meinem damaligen Freund und mir je einen Adventkalender, schön drapiert auf meiner Anrichte in der Küche, sodass wir jeden Tag gemeinsam in der Früh beim Kaffee zusammen ein Türchen öffnen und in Vorfreude schwelgen könnten. Dachte ich. Denn als ich am ersten Dezembermorgen aufgeregt in die Küche tappte, um ganz keck schon mal mein erstes Türchen zu öffnen, breitete sich dort ein Bild des Wahnsinns aus. Jemand hatte einen der beiden Adventkalender bereits fast vollständig geplündert. Als hätte sich eine Hyäne über ein Stück Aas hergemacht, lag er da, ausgeweidet, zerfleddert, bis auf ein paar Überbleibsel zerstört.
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Sabotage in den eigenen Reihen
Während ich noch versuchte, meine Gedanken zu ordnen, stampfte mein Freund gähnend in die Küche. Auf meine weit aufgerissenen Gesichtszüge, die zwischen ihm und dem toten Kalender hin und her schweiften, frage er nur lässig: „Was los? Schlecht geschlafen?“ Nein, nicht schlecht geschlafen. Zuerst überlegte ich noch fieberhaft, wie ich ihm denn möglichst schonend beibringen könnte, dass offenbar der leibhaftige Grinch in die Wohnung eingebrochen war und einen – für mich ganz klar: seinen – Adventkalender vernichtet habe, um uns die Weihnachtsstimmung zu stehlen. Doch als er nur einen kurzen Blick auf das Massaker warf und sich danach gemütlich einen Kaffee holte, dämmerte mir, wer hier der wahre Boykotteur war. Der Grinch in meinem Bett!
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Unersättliche Grinch-Mentalität
Als ich verstört stammelnd versuchte, ihn zur Rede zu stellen, entgegnete er nur: „Achja, ich steh’ total auf die Schokolade im Adventkalender. Könnte ich kiloweise verdrücken.“ Und als ob das an sich nicht schon ein Schlag ins Gesicht des Christkinds wäre, besaß er auch noch die Dreistigkeit, vor meinen tränenden Augen noch den Rest der Schokolade zu verschlingen. Mit jedem Kästchen, das seine langen, verräterischen Finger aufrissen wie Löwenzähne die Bauchdecke einer wehrlosen Antilope, starb das Kind in mir ein bisschen mehr. Um es zu retten, rief ich schließlich schrill: „Schluss damit! Du kannst doch nicht einfach willkürlich Schokolade essen!“ Ja, im Nachhinein bin ich mir durchaus bewusst, wie bescheuert sich dieser Satz losgelöst vom Kontext anhört. Aber ich konnte diesen Weihnachtsanarcho doch nicht einfach weiter die Vorfreude stehlen lassen.
Und als er dann mit seelenruhiger Miene als Wiedergutmachung vorschlug, er könne demnächst einfach noch ein paar Adventkalender kaufen, lief das Punschfass über. Man kauft doch nach dem ersten Dezember keine Adventkalender mehr, verdammt noch mal. Wo ist denn dann der ganze Spaß, wenn man sich nicht auf einen Kalender zu Beginn der Adventzeit festlegt und ihn dann treu bis zum 24. begleitet? Da könnte ich mir ja auch einfach eine Tafel Schokolade kaufen und sie – wie sonst auch – in einem Atemzug auf der Couch inhalieren. Darum geht es doch nicht!
Ich teile meine Schoki nicht
Nachdem ich meinem hauseigenen Adventkalender-Judas überdeutlich klargemacht hatte, wie groß der Affront gegen mich und meine Weihnachtsstimmung wäre, wenn er mir in den nächsten Tagen zehn weitere Kalender anschleppt, die er dann wieder vor mir plündern würde, realisierte er, dass seine unbändige Gier nach Adventkalender-Schokolade in diesem Haushalt wohl nicht gestillt werden würde. Dieser schändliche Exzess könnte also vielleicht für dieses Jahr sein letzter bleiben, zumindest in meiner Anwesenheit. Und schon wanderten seine gierigen Augen langsam in Richtung meines ungeöffneten Adventkalenders. Geistesgegenwärtig schnappte ich mir mein kleines, weihnachtliches Heiligtum und versteckte es vor seinen unersättlichen Fingern. Keiner vergreift sich an meiner Vorfreude!
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