Unser Senf: Warum ich mir keine Neujahrsvorsätze mache
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal erzählt unsere Redakteurin, warum sie ein für allemal auf Neujahrsvorsätze pfeift.
Neues Jahr, neues Glück. Oder? Das versprechen wir uns zumindest von den ach so guten Vorsätzen, die wir jeden Jahresbeginn aufs Neue fassen. Die Fitnessstudios quellen über, die Bio-Läden freuen sich über den magisch steigenden Umsatz, und die Tabak-Lobby muss ihre Glimmstängel selbst rauchen. Beinahe. Beinahe ist das alles von Dauer. Aber dann ab Mitte Jänner doch wieder nicht. Das beweist alljährlich, wie sinnlos die immer gleichen Vorsätze sind. Und wie kurz sie greifen. Auch ich habe mir am 31. Dezember immer wieder die besten Ziele fürs bevorstehende Jahr gesetzt. Und sie meistens schon am 1. Jänner wieder unwiederbringlich für das gesamte folgende Jahr in Grund und Boden missachtet: Weniger trinken, gesünder essen und länger schlafen ist eben verdammt schwer zwischen der durchzechten Silvesternacht und dem fressorgiastischen Neujahrstag. Deshalb habe ich für dieses Silvester genau einen Vorsatz gefasst, den ich hundertprozentig einhalten werde: Ich mache mir keine Vorsätze mehr!
Betrunkenes Ich vs. Alltags-Ich
Egal, was es ist, das ich mir vornehme, ob mehr Sport oder weniger Zigaretten, mehr Lesen oder weniger Fernsehen: Ich vergesse es mit dem wieder einkehrenden Alltag grandios schon nach Wochen. Das liegt vor allem auch daran, dass der Alltag selbst ja weitgehend gleich geblieben ist wie noch im Jahr zuvor. Und wenn der so richtig zuschlägt, haben alle Vorsätze, die man in einem Anflug an Optimismus und Feierlaune während der Festtage fasst, keine Chance gegen Stress und Chaos.
Unser Feiertags-Ich erlegt uns also unerreichbare, meist aus den Medien reproduzierte Idealvorstellungen auf, denen unser Alltags-Ich niemals gerecht werden kann. Das kann das Feiertags-Ich natürlich nicht wissen. Immerhin ist es eine ziemliche Schnapsdrossel. Kommt dann die nächste Silvesternacht, ist nichts mehr vom guten Willen übrig, außer Enttäuschung und Frustration darüber, wieder ein Ziel nicht erreicht zu haben. Ja, nicht nur nicht erreicht, sondern sogar kläglich und kolossal verfehlt. Dieser Realitätswatschen will ich mein Zukunfts-Ich nicht aussetzen.
Vorsätze fassen übers Vorsätze-Fassen
Mittlerweile gibt es unzählige Selbsthilfe-Bücher und esoterische Motivationsschinken, die mir ihre Hilfe entgegenschreien: Gib nicht auf! Du machst es nur falsch! Ja, tatsächlich finden sich immer öfter Tipps und Tricks, wie man sich die Vorsätze auch richtig vornimmt, damit man sie einhält. Wie man sich quasi selbst überlistet. Indem man Ziele genauer formuliert undsoweiterundsofort. Also fängt man anscheinend am besten damit an, sich Vorsätze über seine Vorsätze zu machen.
Klingt absurd, ist es auch. Genau wie die Tatsache, sich selbst „überlisten zu müssen“. Denn das Wort „überlisten“ impliziert irgendwie, dass ich ein so furchtbares Exemplar Mensch bin, dass ich es verdient habe, überlistet zu werden, ja, dass ich es brauche, überlistet zu werden, weil ich es sonst eben einfach nicht lerne. Aber haben wir nicht gelernt, dass es schlecht ist, andere zu überlisten, hinters Licht zu führen? Würde das nicht massiv die Vertrauensbasis zu mir selbst ins Wanken bringen, wenn ich mir draufkomme, dass ich mich überlistet habe? Würde ich mir dann je wieder vertrauen können?
Veränderung ist nicht gleich Selbstoptimierung
Natürlich ist das mit dem Überlisten manchmal nicht ganz so verkehrt. Einen kleinen inneren Schweinehund kann wohl keiner von uns abstreiten. Aber gerade bei den Neujahrsvorsätzen schwingt dabei noch etwas anderes mit, das den inneren Schweinehund nicht liebevoll in seine Schranken weist, sondern ihn mit Würgehalsband in einen Zwinger sperren will: die gute, alte Selbstoptimierung. Das Sich-Klein-Machen vor unerreichbaren Idealen und Konventionen. Das ist schon alleine daran ersichtlich, dass offenbar der gängigste Vorsatz mit Fitness und Abnehmen zu tun hat. Nicht umsonst feiern die Fitnessstudios jeden Jänner das Geschäft ihres Jahres. Doch wenn wir uns ehrlich sind, geht’s bei jedem anderen Vorsatz zu Silvester doch auch nur darum, sich möglichst „weit nach vorne zu pushen“, der „bestmögliche Mensch“ zu sein, das „bestmögliche Leben“ zu führen. Wie das aussehen soll, sagen uns heilsversprechende Zeitschriften und Werbeanzeigen für Nahrungsergänzungsmittel.
Statt sich also einmal im Jahr, noch dazu ausgerechnet an dem Tag, an dem ein kollektiver Rausch quasi Gesetz ist, einen Batzen unerreichbarer Erwartungen aufzubürden, wäre es wahrscheinlich besser, auf eine konkrete Lebenssituation zu warten, in der die eigenen Rädchen nicht rund laufen, um sie direkt und vor Ort wieder auf Spur zu bringen. Denn immerhin sollte man das Leben auch nicht zu sehr mit Plänen vergeuden. Oder wie John Lennon in Beautiful Boy (Darling Boy) singt: „Life is what happens to you while you’re busy making other plans.“
Wenn ihr nicht auf Neujahrsvorsätze verzichten wollt, könnt ihr damit sogar Gutes tun! Im wirhelfen.shop der Caritas Wien könnt ihr den Betrag, den ihr euch erspart, wenn ihr Alkohol, Zigaretten oder Süßem abschwört, stattdessen für Menschen in Not in Wien spenden. So machen gute Vorsätze doch ordentlich Sinn!