Unser Senf: Warum meine Mama und ich manchmal unterschiedliche Sprachen sprechen
„Mama, sorry, dass ich erst jetzt zurückrufe. Ich hab’ mir grade eine Bowl geholt.“ „Eine was?“ „Eine Bowl.“ „Eine was?“ „Eine B-O-W-L.“ „Eine was?“ „Eine Bowl, weißt eh. So wie Bowling nur ohne –ing.“ So ging das Telefonat für ein paar weitere Minuten, bis ich ratlos und für einen U-Bahn-Waggon viel zu laut ins Handy kreischte: „Eine Schüssel mit Essen drin, verdammt!“ Schockierte Blicke, peinliches Schweigen. Sogar die Bowl in meinem Papiersackerl schämte sich ob ihrer schieren Existenz. „Manchmal willst du mich einfach nicht verstehen, oder?“, versuchte ich die Situation mit nervösem Lachen zu relativieren. Dabei war mir zwischen verhaltenem Räuspern meiner verdutzten Mama und verächtlichem Kopfschütteln des älteren Herren neben mir längst klar, dass es nicht am Willen lag. Manchmal verstehen wir uns eben einfach wirklich nicht. Und zwar nicht metaphorisch oder weltanschaulich, sondern ganz einfach auf vokabulärer Ebene.
Woran das liegt? Ganz einfach: Jede Generation, ja, jede Subkultur entwickelt eben mit der Zeit ihre eigene Sprache – oder zumindest einzelne Begriffe, die wie eine Art Sesam-Öffne-Dich-Codewort wirken: Wenn du weißt, was sie zu bedeuten haben, bist du mit von der Partie. Wenn nicht, isst du statt einer Ramen-Bowl eben einfach eine Nudelsuppe. Auch gut. Doch manche Begriffe sind bereits so fest in unserem Sprechen und Denken verankert, dass wir uns schwertun, sie in allgemein verständliche Erklärungen zu gießen. Anlass zur Besorgnis und zum Ausrufen eines allgemeinen Generationenkonflikts ist das nun wirklich keiner. Aber die Umschreibungen, die am Ende aus der Erklärungsnot heraus entstehen, sind dafür umso lustiger. Hier daher ein kleines Millennial-Eltern-Lexikon.
Bowl
Gut, das haben wir ja schon geklärt: „Schüssel mit Essen drin.“ Mehr gibt’s dazu eigentlich nicht zu sagen.
Hipster
Mal ehrlich: Was zum Jutebeutel ist eigentlich 1 Hipster? Natürlich könnte man Hipster grob mit Mütze, zu kurzen langen Hosen, bunten Socken, weißen Sneakers, Stoffbeuteln und Nerd-Brille umreißen. Bei Hipster-Männchen käme noch Schnauz-, Voll- oder Drei-Tages-Bart, also irgendeine Art von Gesichtsbehaarung, dazu. Aber die rein äußerliche Zuordnung scheint dem Hipster-Lifestyle kaum gerecht zu werden. Die Einordnung der Hipster-Kultur fällt auch professionellen Einordnern nicht leicht, was sich etwa daran zeigt, dass es im Urban Dictionary stolze 567 verschiedene Definitionsansätze gibt.
Was sich aber mit vielen anderen Websites deckt, beginnt mit folgendem Satz:
„Hipster sind eine Subkultur von Männern und Frauen, typischerweise in ihren Zwanzigern und Dreißigern, die Wert auf unabhängiges Denken, Gegenkultur, progressive Politik, Anerkennung von Kunst und Indie-Rock, Kreativität, Intelligenz und Schlagfertigkeit legen.“
Ziemlich kompakt, oder? Denkste! Die Definition zieht sich noch über gut 30 Sätze und drei Absätze hin. Vielleicht kann man Hipstersein nicht wirklich mit Worten einkesseln. Entweder man ist Hipster, oder man trägt normallange Hosen. So ist das nun einmal. Meiner Mama werde ich in Zukunft einfach folgende persönliche Definition auftischen:
„Wir sind alle super individuell und daher super ähnlich.“
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Facebook-Verlinkungen
Okay, okay – hier zu behaupten, fortgeschrittenere Generationen wären nicht Social-Media-affin, wäre ziemlich flach und obendrein ein falsches Pauschalurteil. Immer mehr Eltern schaffen sich einen Facebook-Account an und beschämen ihre Kinder mit Verlinkungen auf peinlichen Familienfotos. Well played, Mutti, well played. Dass damit nicht zwingend tiefgreifendes Verständnis für die komplexe Materie einhergeht, zeigt sich – egal ob Alt oder Jung – an eigenartigen geteilten Inhalten, die offenbar hätten gedisliket werden sollen, und ähnlichen Spompanadeln.
Doch wie erklärt man einer Person, die kein Facebook benutzt, wie das virtuelle soziale Schaufenster genau funktioniert? Dass man sich mit Bekannten und Freundinnen und Freunden connecten kann, leuchtet schon ein. Aber was bedeutet es, sich gegenseitig unter Beiträgen zu markieren oder Beiträge auf der Pinnwand von anderen zu teilen? Hä?
Mein Erklärungsansatz, kurz und knapp: „Du machst andere auf etwas aufmerksam. Wie mit einem Post-it, dass du deinen Kolleginnen und Kollegen auf den Computerbildschirm klebst.“
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Hashtags
Hashtags. Auch so etwas, das für Dauer-Instagram-Nutzende zwar vollkommen klar und logisch ist. Das einen aber bei Insta-Noobs ins Stammeln bringt: „Wenn du dein Bild oder deinen Beitrag mit einem bestimmten Schlagwort versiehst, taucht dein Beitrag auf, wenn andere User nach diesem Schlagwort suchen.“ Warum sie nach diesem Schlagwort suchen sollten? Naja, weil sie eben gerne verschiedene Bilder zu einem bestimmten Thema sehen wollen. Oder so:
„Hashtags funktionieren online wie Registerkarten, offline wie Schlagworte.“ #kurzundknapp
Instagram-Story
Und wenn wir schon dabei sind: Etwas, das deutlich 2020-mäßiger als Hashtags ist, gehört intergenerationell auch dringend mal geklärt. Was genau ist bitte eine Instagram-Story? „Du kannst auf Instagram mehrere Bilder und kurze Videos posten, die dann nur für 24 Stunden für die anderen sichtbar sind.“ Gut, die Erklärung ist hier offensichtlich nicht das Problem. Sondern eher die Antwort auf die meist darauffolgende Frage:
„Warum?“
„Wie: ‚Warum’?“
„Naja, warum kann man die Bilder nur einen Tag lang sehen?“
„Weil sie dann weg sind.“
„Ja, aber warum sind sie weg?“
„Weil Instagram sie löscht.“
„Ja, schon, aber warum will man das? Muss man dann nicht dauernd auf diese App schauen, um nichts zu verpassen?“
„Darum geht’s ja nicht. Es ist einfach lustig, weil es nicht für immer da ist, sondern eben nur für einen Tag.“
„Aber deine Beiträge könntest du doch auch jederzeit löschen, oder?“
„Ja, aber die werden nicht unbedingt an alle meine Instagram-Follower ausgespielt. Die Storys sieht jeder in einer eigenen Leiste.“
Aha, da haben wir ihn also, den wahren Sinn der Insta-Storys: Allgemeine Sichtbarkeit. Manchmal kann das Leben erstaunlich einfach sein. Genauso erstaunlich ist es übrigens, dass wir dieselbe Diskussion über den WhatsApp-Status nicht führen mussten.
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Memes und GIFs
Und wenn es schon um die Skurrilitäten und Absurditäten des weltweiten Netzes geht, können wir uns auch gleich ein paar Gedanken über eine unserer Lieblingskommunikationsformen machen. Sie drücken mit so wenig so viel aus, geben unseren Freundinnen und Freunden unser Innerstes auf nur einen Blick preis und füllen die kommunikative Leere in so mancher WhatsApp-Gruppe. Die Rede ist natürlich von Memes. Oder ihren beweglicheren, vielseitigeren jüngeren Geschwistern: den GIFs. Dazu sei gesagt: Die einfachste Variante, Nicht-Social-Media-Userinnen und -Usern die glorreichen Freuden des GIF-Universums näher zu bringen, ist die Veranschaulichung – man zeigt sie einfach her. Damit sind meistens alle Fragen beantwortet. Zumindest in meinem Fall: Die Online-Kommunikation meiner Mutter und mir besteht mittlerweile zu 50 Prozent aus lustigen GIFs. Schön, wenn man gemeinsame Hobbys hat.
Trotzdem hier ein kleiner Definitionsversuch:
„Memes sind Bilder, die aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und durch zusätzlichen Bildtext in neuen Kontext gebracht wurden. Das ist lustig.“
„GIFs sind ganz kurze, ebenfalls aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissene Videos, die meistens eine Stimmung verdeutlichen oder eine Behauptung veranschaulichen sollen. Das ist ebenfalls lustig.“
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Okay, manchmal sind sie nicht aus dem Zusammenhang gerissen, sondern einfach seltsam.
I bim’s
Für eine barrierefreie Kommunikation ist nicht nur das gegenseitige Verständnis einiger generationstypischer Grundbegriffe vorteilhaft, sondern auch der kundige Umgang mit gängigen Floskeln. Weil sich mir allein schon beim Gedanken an das Geräusch die Zehennägel aufrollen, werde ich phonetische Entgleisungen wie „Sheesh!“ hier bewusst ausklammern. Ist ja außerdem ohnehin eher ein Teenie-Gangster-Ding. Stattdessen habe ich mir schon oft den Kopf darüber zerbrochen, wie ich meiner Mutter die Lustigkeit der Vong-Sprache näherbringe. Denn ein simples „Halo, i bim’s“ am Telefon findet sie komischerweise nicht besonders erquicklich, eher besorgniserregend. „Du, ich glaube, die Verbindung ist ganz schlecht. Was hast du gerade gesagt?“ „Nichts, Mama, war nur ein Schmäh.“
Was wirklich lustig daran ist, die Sprache zum grammatischen Totalschaden zu verballhornen, ist wahrscheinlich nur für Vong-Natives und damit Digital Natives wirklich eingängig. Aber auch Humor greift ja bekanntlich von Generation zu Generation verschieden. Sollte euch doch mal die eine oder andere Vong-Wendung am Familientisch rausrutschen, ist euer anschließendes infantiles Gekichere schnell erklärt:
„Ist so ein Facebook-Ding, das unter anderem auf einen Typen Profil-namens Willy Nachdenklich zurückgeht, der sich über pseudo-inspirierende Sprüche und Bilder lustig macht, in denen oft verdammt viele Grammatikfehler stecken.“
Oder einfacher: „Ist so ein Facebook-Ding.“
Na dann, viel Spaß beim intergenerationellen Erforschen eurer sprachlichen Grenzen und Gemeinsamkeiten. Vong Liebe her. Hihihi.
Darf’s noch ein bisserl mehr Senf sein? Unsere Redakteurin ärgert sich über besoffene Zugreisende. Und am liebsten hätte sie ihre Jogginghose überall dabei.
(c) Beitragsbild | Pixabay