Unser Senf: Warum mich Kekse backen regelmäßig in den Wahnsinn treibt
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal erzählt unsere Redakteurin, warum das Kekse backen zu Weihnachten sie jedes Jahr aufs Neue zum Verzweifeln bringt.
Draußen rieselt leise der Schnee, drinnen schaut’s aus, als wäre ein Schneemann explodiert. Nein, ich habe keine Schneekanone gefladert und in meine Wohnung verfrachtet – ich bin wie alle Jahre wieder mal am Keksebacken und streue Mehl auf die Arbeitsfläche wie andere Leute Steinchen auf ihre vereiste Einfahrt. Das mag jetzt vielleicht so süß klingen, wie uns das die Werbeindustrie beharrlich weismachen will, aber mit niedlich mehliger Nasenspitze und genüsslichem Teigausschlecken hat das bei mir leider wenig zu tun. Hier backt kein vorfreudiges Vorschulkind mit seiner Oma, sondern der wütende Hulk persönlich.
Alle Jahre nicht schon wieder
Anfang Dezember fängt es an: Ich bin plötzlich in super heimeliger Stimmung, zwinge meinem Freund abgedroschene Weihnachtslieder auf und lege schon mal eine Liste mit Keks-Variationen an, an denen ich mich dieses Jahr vergehen könnte. Bis hierhin: Klischee pur. Aber spätestens, wenn ich mit verklärtem Blick davon rede, dieses Jahr mal wieder die Vanillekipferl zu verbrechen, die meine Familie seit Generationen mit demselben Rezept bäckt (Mehl, Butter, Eier, Mandeln – darauf sollte man sich eigentlich nicht so viel einbilden), bekommt mein Freund es mit der Angst zu tun. „Willst du dir das dieses Jahr wirklich schon wieder antun?“ Was er meint: Willst du mir das dieses Jahr wirklich schon wieder antun?
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Zombie-Santa
Denn Jahr für Jahr scheine ich eine Art ominöse saisonale Demenz an den Tag zu legen. Ich vergesse, ja verleugne vehement, dass mich Kekse backen verlässlich zur Weißglut bringt. Am Anfang ist ja auch noch alles gut: Ich gieße mir heißen Tee ein, knackse mit den Fingern und lege los. Lose Zutaten vermengen sich in der Küchenmaschine zu klobigem Teig, und ab damit zum Rasten in den Kühlschrank. So weit, so ungefährlich. Doch die entspannte Kuschelstimmung schlägt spätestens dann in leichte Gereiztheit um, wenn ich den Teig aus dem Kühlschrank hole und versuche, ihn auszuwalken. Erster Versuch: bleibt picken. Nichts kann einen härter zum Verzweifeln bringen, als wenn sich die eigentlich total süßen, filigran ausgestochenen Weihnachtsmänner partout nicht vom Untergrund lösen wollen und sich auch nach dem 50. Versuch auf dem Tortenheber zu ihrer eigenen Zombie-Version verzerren.
Okay, okay, ruhig Blut, das kennen wir ja schon. Da fehlt eindeutig Mehl auf der Arbeitsfläche. Noch ein bisschen, noch ein bisschen. Jetzt pickt der verdammte Klumpen menschlicher Unzulänglichkeit dafür am Nudelwalker! Ein kurzes Schnauben, die eben noch vom Tee geröteten Bäckchen werden so signalfarbigen Giftbacken – mein Freund, der sich eigentlich schon aufs gemeinsame Backen gefreut hätte, verlässt leise die Küche. Habe ich es dann endlich geschafft, die verwordackelten Formen irgendwie auf das Backblech zu hieven, ist erst mal durchatmen angesagt. Wie lange brauchen die noch mal im Ofen? Sehen die verbrannt aus? Wie braun ist zu braun? Egal, mit etwas Glasur kann man das noch retten.
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Das Zimtstern-Gate von 2018
Während ich also meine essbaren Figürchen mit überproportional viel Glasur weiter entstelle, erinnere ich mich an das Zimtstern-Gate von 2018. Ich hatte den Fehler begangen und doch glatt ein neues Keksrezept aus einem Kochbuch ausprobiert, dessen Zielgruppe im Nachhinein betrachtet offenbar nur langjährig gediente Küchenprofis sein können. „Schnell und einfach zuzubereiten“ – ja klar, Gordon Ramsay. Der Teig konnte mit mir offenbar genauso wenig anfangen wie ich mit ihm. Egal wie oft ich ihn neu anrührte, wie viel oder wenig Mehl ich ihm fütterte, er pickte. Einfach. Überall. Irgendwann war der Kampf verloren, er hatte mich gebrochen. Und mein Freund fand mich sitzend, Gesicht voran im Keksteig. „Alles okay?“ – „Ich hab‘ aufgegeben“, blubberte es unter der zähen Masse hervor. Ich halte ja wirklich viel aus, aber dass ausgerechnet ein lebloser Klumpen Brei mein gesamtes Nervenkostüm niederriss, wurmt mich bis heute.
Keep rollin‘, rollin‘, rollin‘
Also keine wahnwitzigen Experimente mehr, ich halte mich an Altbewährtes. Und dann kommen sie, die Teig-gewordenen Schikanen unter den Backwaren, die Folterinstrumente unter den Weihnachtskeksen: die Vanillekipferl. Ich ringe mich also dazu durch, es durchzuziehen – immerhin esse ich sie doch so gerne. Ich rolle den Teig in eine lange Wurst, nur um daraus wiederum kleine Würstchen zu rollen und diese wiederum zu Kipferln zu verbiegen. Die ersten Male ist es noch ganz nett – immerhin muss ich diesmal keine geometrisch präzisen Förmchen von der Arbeitsplatte kletzeln – und dann nervt es einfach nur noch. Aus dem Tee wird Höherprozentiges und aus den Kipferln werden sukzessive ungustiöse, fette Kipfen. Je dünner mein Geduldsfaden, desto dicker die Kekse.
Das Backblech ist das perfekte Abbild meiner rastlosen Persönlichkeit. Ein DIY-Rohrschachtest quasi, direktes Fenster in den Abgrund. Ab diesem Stadium habe ich die Stufe der Wut erreicht, ab der man nicht mehr flucht oder schimpft, sondern innerlich so sehr brodelt, dass man äußerlich erstarrt. Mit glasigem Tunnelblick und mechanischen Bewegungen rolle ich also die letzten verdammten Kipferln und verfluche mich leise selbst. Das Ganze hat von außen betrachtet wahrscheinlich nicht mehr viel von weihnachtlicher Festtagsstimmung, dafür ganz viel von The Shining: „All work and no play makes Jack a dull boy.“ I feel you, Jack, I feel you.
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Der Wahnsinn hat Tradition
Und als wäre der Akt des Backens selbst nicht schon enervierend genug für eine Person, die das restliche Jahr über herzlich wenig mit akkurater Häuslichkeit am Hut hat, folgt dann noch der Epilog des Unlustigen: das Saubermachen. Das Mehl ist überall. In meinen Haaren, auf sämtlichen Flächen, auf dem Boden. Überall. Das Ganze ist nicht kuschelig, das ist nicht stimmungsvoll, das ist mein verdammtes Sparta. Und so sehr ich mir es auch vornehme, nächstes Jahr einfach Nutznießerin bei den Keksen von anderen zu sein, bin ich mir doch sicher: Es wird wieder passieren. Alle Jahre wieder. Und wieder. Und wieder. Jeder hat eben seine eigene Weihnachtstradition. Das ist meine.
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Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist erstmals im Dezember 2020 erschienen.