Unser Senf: Warum wir den Feminismus heute immer noch brauchen
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Anlässlich des feministischen Kampftags am 8. März hält unsere Redakteurin eine Rede für den Feminismus.
Vor genau vier Jahren habe ich diesen Text geschrieben. Leider scheint er mit der Zeit nicht an Relevanz zu verlieren. (März 2024)
Man hat’s nicht leicht, aber leicht hat’s einen. Es stimmt schon: Nicht alles im Leben ist einfach, das meiste sogar ziemlich kompliziert. Aber sich zum Feminismus zu bekennen, das nicht. Immerhin gibt es keine vernünftige Ausrede, die logisch rechtfertigen würde, warum man die Gleichstellung der Geschlechter nicht wollen sollte. Zumindest fällt uns keine einzige ein. Natürlich schwirren da draußen genug Argumente gegen das böse F-Wort herum. Aber man bedenke: Wir sprechen ja von vernünftigen, schlüssigen Argumenten. Nicht von marktschreierischen Verbal-Arschbomben so mancher um ihr hegemoniales Identitätsverständnis schnappatmender Altherrenvereine. Dennoch flattern uns auch von Menschen, die gedanklich durchaus in unserem Jahrhundert angekommen sind, immer wieder dubiose anti-feministische Wortmeldungen um die Ohren.
„Ich bin ja wirklich keine Feministin, aber…“
Vor allem von jungen Frauen haben wir diesen Satz schon oft gehört. Viel zu oft. Was damit eigentlich gemeint ist: „Ich traue mich nicht, mich als Feministin zu bezeichnen, weil ich damit laut johlende Amazonenhorden, die ihre spitzen Speere vornehmlich auf männliche Geschlechtsteile abfeuern, verbinde.“ Oder so. Okay, vielleicht ist das Bild etwas drastisch. Aber der Feminismus-Begriff hat sich in den letzten Jahren in der allgemeinen Wahrnehmung immer stärker zu etwas Negativem verschoben. Zu etwas, das für hysterisches Pauschalisieren, wahnwitziges Gendern und – um Himmels willen – Männerhass steht. All das ist natürlich nicht gut, das ist klar. Aber das ist ja auch nicht das, worum es dem Feminismus im Kern geht. Also dem Feminismus, der von Fehlinterpretationen einerseits und populistischer Kastrationsparanoia andererseits befreit ist. Dem es um Gleichstellung, Selbstbestimmung und Verwirklichung und um den Kampf gegen Sexismus und Patriarchat geht.
Dass es auf jedem Baum ein paar faule Äpfel gibt, ist uns natürlich bewusst. Nicht nur die Medien und die Antifeminist*innen haben dem Image des F-Worts erheblich geschadet. Auch manche gut meinende Feminist*innen schießen hie und da übers Ziel hinaus und schaffen zum Beispiel Feindbilder, wo kritische Reflexion gefordert wäre, oder verlagern die Diskussionen in Ecken, die zur Sackgasse werden, obwohl sie an anderer Stelle ganze Mauern einreißen könnten. Aber nicht nur trotz all dem, sondern gerade deshalb ist es umso wichtiger, sich den wahren Feminismus-Begriff nicht nehmen, umdeuten und ins Gesicht zurückschleudern zu lassen. Sondern ihn bewusst zu gebrauchen und notfalls zu erklären, was denn damit eigentlich noch mal genau gemeint ist.
„Frauenquoten sorgen nicht für Gleichberechtigung, sondern erst recht für Unterschiede.“
Dann gibt es da auch die Fraktion, die der Meinung ist, das bewusste Hervorkehren der Situation und Position der Frau innerhalb der Gesellschaft führe eben nicht zu einer echten Gleichheit, sondern markiere im Gegenteil erst recht die Unterschiede. Frauenquoten würden etwa dazu führen, dass viele ihre Jobs nur aufgrund ihres Geschlechts und nicht ihres Könnens bekommen. Man solle viel stärker den Menschen an sich in den Vordergrund stellen und eben nicht das biologische Geschlecht. Stimmt. Absolut richtig. Es sollte nicht darum gehen, was man zwischen den Beinen hat, sondern darum, was man im Herzen hat. Schön.
Nur leider entspricht das oft nicht ganz der Alltagsrealität. So wünschenswert eine absolute Gleichbehandlung wäre, so ungerecht wäre sie in vielen Situationen. Denn wenn zwei gleich behandelt werden, die aber gesellschaftlich gesehen unterschiedliche Ausgangschancen besitzen, ist das alles andere als fair. „Niemand hat […] einen besseren Startplatz in der Gesellschaft verdient“, schreibt der Philosoph John Rawls in seiner „Theory of Justice“. Daher müsse die Gesellschaft das durch Institutionen und Initiativen ausgleichen und so für faire Chancen für alle sorgen.
Damit ist jedoch auf keinen Fall gemeint, dass Frauen prinzipiell schwächer, dümmer, von der Natur benachteiligter sind und deshalb besondere Unterstützung bräuchten. Nein, nein und nochmals nein. Nichts davon entspricht der Wahrheit. Frauen und andere nicht als männlich gelesene Personen haben es in einer patriarchal geprägten Gesellschaft in vielen Bereichen lediglich aufgrund ihrer geschlechtlichen Zuordnung selbst schwerer. Und schon sind wir bei Initiativen wie dem feministischen Kampftag oder Quoten gelandet: Aufmerksamkeit schaffen einerseits, Möglichkeiten schaffen, wo vorher vielleicht keine oder weniger waren, andererseits – darum geht’s.
„Frauen sind ja eh schon längst gleichgestellt mit Männern.“
Oder auch nicht. Sonst würden viele nicht vehement behaupten, dass wir den Feminismus heutzutage in Österreich ja gar nicht mehr bräuchten, weil es ohnehin keine geschlechterbedingten sozialen Unterschiede mehr gäbe. Schön wär’s. Natürlich schweift dann schnell einmal der Blick in andere Länder, in denen es in Sachen Frauenrechte und Emanzipation noch deutlich düsterer aussieht als in Österreich. Aber nur weil es woanders vielleicht noch deutlich schlechter um die Gleichstellung bestellt ist, heißt das nicht, dass man vor der eigenen Tür nicht trotzdem ein bisserl kehren müsste.
Natürlich würden wir uns wünschen, dass wir den Feminismus nicht mehr brauchen würden. Klar wäre es schön, wenn er sich selbst abschafft, weil er sich überholt. Aber:
Solange Österreich eine alarmierend hohe Zahl an Femiziden verzeichnen muss und alles, was wir bekommen, eine Sonderbriefmarke ist,
solange es prätentiösen Gangstertypen möglich ist, die Charts mit misogynen Songtexten zu stürmen, die Gewalt an Frauen verherrlichen,
solange Krisen wie Corona die existierenden Ungleichheiten verstärken, da Frauen nach wie vor den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit schultern, in den meisten systemrelevanten Berufen überwiegend Frauen arbeiten und die Gewalt gegen Frauen seit Beginn der Corona-Krise zunahm,
solange man über die Kürzung von Sozialleistungen für Teilzeit-Arbeitende diskutiert und das überwiegend Frauen betrifft, die neben ihrer Anstellung unbezahlte Care-Arbeit verrichten,
solange Männer in Österreich 12,4 Prozent mehr verdienen als Frauen und viele Branchen, in denen vermehrt Frauen arbeiten, schlechter bezahlt werden als männlich dominierte Sparten,
solange Unternehmen den feministischen Kampftag dafür missbrauchen, sich mit ihrem ach so hohen Frauenanteil in der Belegschaft auf die eigene Schulter klopfen, während Vorstand und Führungsriege aber ausschließlich von Männern besetzt sind,
solange Typen wie Donald Trump sich öffentlich mit sexuellen Übergriffen rühmen können und dennoch in hohe politische Ämter gewählt werden oder Massen mobilisieren können – schon wieder! –,
solange Typen wie Andrew Tate wegen Verdachts auf Menschenhandel, Vergewaltigung und Bildung einer kriminellen Organisation festgenommen werden und dennoch eine globale Fanbase haben, die sie verteidigt,
solange vornehmlich Männer über Abtreibungsgesetze und damit über den weiblichen Körper selbst entscheiden,
solange die Periode ein Tabu-Thema ist, für das man sich geniert, und unser Info-Artikel über die Periode Facebook-Debatten auslöst,
solange es Menschen gibt, die unter unserem Beitrag über gratis Menstruationsprodukte auf die Barrikaden gehen, weil sie Männer dadurch benachteiligt sehen und die Diskussion darauf hinausläuft, erklären zu müssen, dass Durchfall und Monatsblutung nicht dasselbe sind,
solange Verhütung überwiegend als Sache der Frau gesehen wird,
solange es Männer gibt, für die es selbstverständlich ist, dass sie beim Sex zum Höhepunkt kommen, aber auf den Orgasmus ihrer Partnerin pfeifen,
solange dein Partner automatisch davon ausgeht, dass du den gemeinsamen Haushalt schupfst, weil er das „einfach nicht so gut kann“ wie du,
solange sich Frauen unter immer neuen Hashtags zu Wort melden und über sexuelle Übergriffe berichten,
solange die Werbeindustrie mit völlig unrealistischen weiblichen Körpermaßen wirbt, man uns aber damit beruhigt, dass viele „Männer eh auf Kurven stehen“,
solange man dir von Klein auf einbläut, was du machen und anziehen sollst, um nicht am Heimweg vom Feiern sexuell belästigt zu werden, anstatt mit deinem Bruder darüber zu sprechen, dass Frauen in Miniröcken kein Freiwild sind,
solange der weibliche Körper automatisch sexualisiert wird, weibliche Brustwarzen zensiert werden müssen, männliche aber nicht, und eine Kandidatin bei Shopping-Queen (2020) Punkte-Abzug und eine ordentliche Rüge bekommt, weil sie unter ihrem Top keinen BH trägt,
solange es für einen Mann möglich ist, vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen zu werden, weil seine Anwältin damit argumentierte, dass das Opfer ja Reizwäsche getragen habe,
solange der Typ, der in der U-Bahn neben dir sitzt, wie selbstverständlich zwei Drittel deines Platzes einnimmt, weil er seine Beine im 180-Grad-Winkel spreizen muss,
solange man dich auffordert, doch „ein bisschen mehr zu lächeln“,
solange sexuell freizügige Frauen als Schlampen, umtriebige Männer aber als erfahren gelten,
solange man Tätern mehr Glauben schenkt als Opfern,
solange man beruflich erfolgreiche Frauen als kühl, berechnend, zickig oder Rabenmütter abstempelt, Männer hingegen als zielstrebig,
solange man dich ab Mitte 20 bei Familienfesten hartnäckig nach deiner Familienplanung fragt und ein „Ich will keine Kinder“ von dir mit den Worten: „Noch nicht!“ abtut,
solange diese Liste innerhalb von Jahr zu Jahr nicht kürzer, sondern länger wird,
solange brauchen wir ihn eben doch, den Feminismus. In Österreich und überall.
Und bevor schon die ersten Kreuzritter der Relativierung ihre Mistgabeln aus dem Keller holen: Natürlich hat sich inzwischen viel getan. Aber nur, weil viel weitergegangen ist, heißt das nicht, dass man stehen bleiben muss.