Unser Senf: Wieso mir Radler*innen in Wien den letzten Nerv rauben
Aus irgendeinem Grund haben einige Radfahrer*innen das Gefühl, für sie gelten die üblichen Verkehrsregeln nicht. So geht es nicht weiter, findet unsere Autorin. Plot-Twist: Sie ist selbst enthusiastische Radlerin.
Radfahren in der Stadt ist anstrengend. In meiner Welt auf zwei Rädern waren die üblichen Schuldigen dafür bisher Autofahrer*innen und Fußgänger*innen. Eine ärgerliche Entwicklung der vergangenen Jahre ist aber, dass auch meine Radfahrer-Kolleg*innen meine Stress-Resilienz, Konfliktbewältigungsstrategien und Geduld immer mehr auf die Probe stellen. (Anm. der Autorin: In diesem Text sind E-Scooter-Fahrer*innen mit Rufzeichen mitgemeint!)
Dass einem Fußgänger*innen träumend vor das Vorderrad laufen oder Autofahrer*innen einfach rechts abbiegen, ohne einen Blick auf den Radstreifen zu werfen, überrascht niemanden mehr. Aber rüpelhaftes Verhalten von Zweirad-Kolleg*innen fühlt sich nach Verrat an. Ich dachte, wir wären ein Team, zusammengeschweißt durch Ärger über schimpfende Autofahrer*innen und Kopfschütteln über Passant*innen, die einem wie Rehe auf der nächtlichen Landstraße vor die Reifen hüpfen. Stattdessen ist das verbindende Motto „Eine*r für alle, alle für eine*n“ dem Ellbogen-Taktik-Stehsatz „Jede*r für sich“ gewichen. Vergessen, dass man im selben metaphorischen Sattel sitzt. Vergessen, dass die Straßenverkehrsordnung auch für Fahrräder gilt.
Weniger Räder, weniger Regeln?
Dinge, die beim Autofahren selbstverständlich sein sollten, stehen auf dem Fahrrad offenbar plötzlich zur Diskussion. Etwa, dass es wichtig ist, anzuzeigen, wenn man abbiegt, und sich davor umzusehen, ob das gefahrlos möglich ist. Stattdessen stellt so manche*r Radler*in den Sicherheitsabstand durch eine überraschende Bremsung auf die Probe, um dann ohne Handzeichen abzubiegen. Das Rechtsfahrgebot wird besonders an Ampeln à la Marc-Uwe Klings Känguru ausgelegt: „Rechts, links, das sind ja bürgerliche Kategorien.“ Da fädeln sich viele einfach nebeneinander auf für das Rennen, das beginnt, sobald die Ampel auf Grün schaltet. Dann glauben nämlich alle, sich den Platz an der Spitze der Kolonne erstrampeln zu müssen wie bei der Tour de France.
Besonderes Highlight auf der Liste meiner Fast-Fahrradunfälle: Ich warte an der roten Ampel, jemand fährt links neben mir auf und gurkt mir beim Losfahren geradewegs in meine Fahrbahn. Solche Aktionen kitzeln endgültig die grantige Wienerin aus mir heraus. Ich verabscheue Drängeln. Menschen, die sich zum Nabel der Welt erklären und sich nicht um ihre Mitmenschen, deren Rechte und Bedürfnisse scheren, halte ich überhaupt nicht aus. Weder beim Radeln noch beim Anstellen an der Kinokassa.
Überholen um jeden Preis
Apropos Überholen: Ich verstehe den Reiz daran, auf einer langen, geraden Strecke so richtig in die Pedale zu treten und sich geschickt an anderen vorbeizuschlängeln. Wenn die Manöver dann aber rücksichtslos und riskant sind und auf Kosten der anderen gehen, hört sich der Spaß auf. Offenbar ist kein Sicherheitsabstand zu kurz, um sich hinein-, kein Radstreifen zu schmal, um sich ohne Vorwarnung vorbeizuwurschteln. Bevor man den Pseudo-Rennradler*innen ein empörtes „Oida!“ hinterherrufen kann, sind sie schon wieder weitergezogen.
Allen De-facto-Rennradler*innen, die das Gefühl haben, aufgrund ihrer Geschwindigkeit in der Stadt die Vorfahrt gepachtet zu haben, möchte ich an dieser Stelle kurz und knapp ausrichten: Ihr düst hier nicht auf eurer persönlichen Rennstrecke entlang. Wenn ihr euch mal einbremsen müsst, ist das kein Grund für Schimpftiraden und Ärger darüber, dass man eure Staubwolke nicht kommen gesehen hat.
Die Hoffnung bleibt
Wie konnte es so weit kommen? Mein Hirn mit Hang zur Küchenpsychologie hat dazu eine Theorie formuliert: Die Einschätzungen, verletzlicher als Autofahrer*innen und schneller als Fußgänger*innen zu sein, verleiten manche Radler*innen dazu, die Regeln für sich selbst etwas bis extrem großzügig auszulegen. Ich will die Hoffnung auf bessere Zweirad-Koexistenz nicht aufgeben. Bis dahin muss ich im Umgang mit Rüpel-Radler*innen wohl in meiner Zen-Zone bleiben. Zumindest auf der Straße, damit kein Unglück passiert.