Upcycling: Vom Instrument zum Möbelstück
Upcycling! Das Schlagwort, wenn es darum geht, der Wegwerfgesellschaft stilsicher den Stinkefinger zu zeigen. Nimm das, Einwegsackerl! Und das, PET-Flasche! In Oberösterreich gibt es einen Tischler, der das Upcycling aufs nächste Level treibt: Er macht aus alten Instrumenten neue Möbel. Wir haben ihn in seiner Werkstatt besucht und uns angesehen, was wir aus unserer ausgedienten Gitarre so alles machen könnten.
Bis auf den tröpfelnden Regen ist alles ruhig im oberösterreichischen Buchkirchen, als wir vorsichtig durch den Kies des Hofs stapfen, in dem Samuel Karl seine Werkstatt hat. Bevor wir noch ins Grübeln kommen, zu welcher Tür wir hineinmüssen, geht die dunkelgrüne Holztür schon auf und Samuel grinst uns entgegen. Erstmal bietet er uns Kaffee und belegte Brötchen an. Die hat seine Frau gemacht, extra für uns. Als wir völlig von den Socken beherzt zugreifen, grinst er zufrieden. So viel natürliche Gastfreundschaft herrscht wohl selten in einer Werkstatt.
Zum Besseren wiederverwertet
Samuel upcycelt mit seinem Label AUSGESPIELT alte Instrumente zu neuen Möbeln. Upcycling ist eines der Schlagworte der letzten Jahre, wenn es darum geht, der Wegwerfgesellschaft ein Stück weit entgegenzuwirken. Auch, wenn bestimmte Gegenstände ihren ursprünglichen Zweck verwirkt haben, wir uns neue, bessere Versionen von ihnen anschaffen oder wir ihnen einfach überdrüssig geworden sind, heißt das noch lange nicht, dass man sie gleich in die Tonne treten muss. Denn in mancher Konservendose steckt nach gründlichem Auswaschen vielleicht ein schöner Blumentopf. Upcycling ist allerdings nicht zu verwechseln mit einfachem Recycling, bei dem Abfallprodukte in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt und wiederverwertet werden. Auch steht es im Gegensatz zum Downcycling, wodurch die verwerteten Produkte eine geringere Qualität aufweisen als ihre Ausgangsmaterialien – was bei manchen DIY-Versuchen schon mal passieren kann. Nein, Upcycling bedeutet, nutzlos gewordene Dinge in ihrer ursprünglichen Form aufzuwerten.
Verpackungsmittel und ähnliche eher unästhetische Materialien sind schnell mal zu etwas Schönerem zusammengebastelt. Daher assoziiert man vielleicht mit dem Begriff Upcycling oft auch improvisierte, zusammengeschusterte Heimwerkerkunst. Doch das ist weit davon entfernt, was Samuel in seiner Werkstatt fabriziert. Er betreibt Upcycling auf hohem Niveau. Und das ist bei einem Ausgangsprodukt wie einem Instrument, das von sich aus optisch schon etwas hermacht, gar nicht so einfach.
Heute noch Trommel, morgen Designer-Kommode
In einer Art kleinem Showroom mit zwei schwarzen Wänden mitten in der Werkstatt steht eine glitzernde Trommel. Nur dass sie streng genommen keine Trommel mehr ist, sondern eine Kommode mit zwei Laden. Und die lassen sich sogar auf Druck öffnen. „Ursprünglich musste man die Laden händisch herausziehen“, erzählt der gelernte Montagetischler. „Das hat die Trommel aber immer zum Wackeln gebracht. Das ist nicht die Qualität, die ich haben möchte.“ Durch die Ummantelung sieht die Möbeltrommel aus wie neu. Als könnte man sie auch in einem Möbelhaus kaufen. Kein Shabby Chic, keine handwerkliche Bequemlichkeit, die zum Stilpunkt erhoben wird. Die Kunden können sich für die Wand ihrer Trommelkommode verschiedene glitzernde Folien aussuchen. Von Glitzergrün bis Glitzergold. Wie er diese Ummantelung anbringt, will uns der 25-Jährige lieber nicht zeigen. Das bleibt sein Betriebsgeheimnis. Was aber kein Geheimnis ist, ist, dass Qualität ihren Preis hat. Ein solches Trommelkästchen kommt bei Samuel auf circa 1.180 Euro. Er hat aber auch leistbarere, weil weniger aufwendigere Alternativen im Angebot, wie etwa Hängelampen aus Schlagzeug-Becken für 99 Euro.
An seine Rohlinge kommt Samuel entweder durch seine Kund*innen selbst, die ihm alte, nicht mehr bespielte Instrumente bringen, um ihnen neuen Sinn zu verleihen: „Sie bringen mir etwa Omas alte Gitarre, die im Keller herumsteht und verstaubt.“ Oder Samuel kauft selbst neue Instrumente zu. Das ist dann zwar streng genommen nicht mehr Upcycling, aber auch nur streng genommen. Denn einige Musikhäuser wissen, was Samuel tut, und versorgen ihn mit Ladenhütern, die sonst wohl ewig im Regal stehen würden.
Jedes Instrument erzählt eine Geschichte
Während wir uns in Samuels kleiner, ordentlicher Werkstatt umsehen, arbeitet er an einer Verstärkung für die geschwungene seitliche Innenwand einer Gitarre, die mal als Regal dienen soll. Er leimt dünne Holzschichten aneinander und presst sie dann mit Schraubstöcken und einer Form zurecht. Wie genau diese Form geschwungen ist, legt er mit Augenmaß fest. Jede Gitarre ist eben anders. Im hinteren Bereich der Werkstatt hängt bereits eine alte Gitarre als Regal an der Wand, die in einer Schublade einigen Stauraum bietet. Sie trägt sogar noch ihre Saiten und gibt Töne von sich, wenn man sie schrummt. Vielleicht nicht unbedingt korrekt gestimmte, aber immerhin. Neben all dem hochwertigen Design ist es Samuel bei den gebrauchten Instrumenten, die ihm die Kunden persönlich bringen, vor allem wichtig, sie optisch möglichst wenig zu verändern. „Ich lasse alle Gebrauchsspuren, wie sie sind“, sagt er. „Das ist mir wichtig. Denn sie erzählen die Geschichte des Instruments.“
Weil Samuel selbst Schlagzeug spielt, weiß er, wie eng die Beziehung zum eigenen Instrument oft ist. Daher hat er als erstes Werkstück auch nicht an seinem eigenen Schlagzeug herumprobiert, sondern eine gebrauchte Trommel auf eBay ersteigert. Genauso wichtig wie die Geschichte des Instruments ist ihm, dass die Instrumentenmöbel nicht nur im Raum herumstehen, sondern wirklich gebrauchsfähig sind. Diesen Bogen zu spannen, ist aber gar nicht so einfach. Manchmal überlegt Samuel monatelang, was er aus einem alten Instrument herausholen kann. Ein Kinderchello hat er etwa gebraucht gekauft, ohne recht zu wissen, welches Möbel darin stecken könnte. Sechs Monate später wurde daraus ein bemerkenswerter Lampenschirm. „Ich kann das nicht erzwingen, das geht Schritt für Schritt.“
Auch Sperrmüll verdient eine zweite Chance
Der Sperrmüll aus privaten Haushalten ist in Österreich in den letzten Jahren merklich gestiegen. Während er 1999 noch auf knapp unter 200.000 Tonnen pro Jahr kam, sind es im Jahr 2016 bereits 246.000 Tonnen. Das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus führt das in seinem aktuellen Abfallbericht auf „die Bevölkerungszunahme, auf den gestiegenen Lebensstandard und auf eine Verringerung der Nutzungsdauer von Konsumgütern wie z. B. Möbel“ zurück. Im Klartext: Wir entsorgen die Dinge schneller als früher, wenn sie uns nicht mehr in den Kram passen. Dabei wäre da sicher das eine oder andere Stück dabei, dem man mit ein wenig Upcycling-Erfindungsreichtum zu neuem Glanz verhelfen könnte.
Zugegeben: Instrumente sind ziemlich sicher nicht das Hauptproblem der Verschwendungsgesellschaft. Immerhin verbindet man oft großen ideellen Wert mit ihnen, weil man doch als Kind mit ihnen die Musikschule überstanden oder der Oma zu Weihnachten auf ihnen vorgegeigt hat. Also schmeißt man sie wahrscheinlich selten auf den Sperrmüll. Dass sie im Keller zwischen den zu klein gewordenen Wanderschuhen und dem nie wirklich vollends ausgeschöpften Einrad ihren Zweck längst verwirkt haben, ist aber trotzdem schade. Denn nutzlos sind sie längst nicht, wie Samuel mit seinen Möbeln beweist. Als wir schon fast wieder zur Tür raus sind, hält er uns auf. Das Folgende muss er noch loswerden: „Mir geht es darum, dass jeder eine zweite Chance verdient hat. Instrumente und auch Menschen.“ Das ist ihm wichtig. Und uns auch – das wurde uns durch diesen Besuch unerwarteter Weise wieder bewusst.
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