Wer hat die Vulven geklaut?
Die Wiener Künstlerin Gloria Dimmel macht Gipsabdrücke von Vulven. Und das ist gut so. Denn während Phallussymbole rings um uns emporragen, haftet der Vulva doch nach wie vor ein gewisses Tabu an. Vulva, das bedeutet übrigens laut Professor Duden die „Gesamtheit der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane“. Die Bezeichnung „Vagina“ bezeichnet eigentlich bloß die Körperöffnung, die die Vulva mit der Gebärmutter verbindet, also known as „Scheide“. Oft werden diese beiden Begriffe synonymisch verwendet. Sind sie aber nicht. Soviel dazu. Dass von der öffentlich vernachlässigten Vulva aber auch eine große Faszination ausgeht, beweist die Tatsache, dass Gloria Dimmel vergangenes Wochenende 26 ihrer Gipsvulven geklaut wurden.
Techno und Kunst in einem
Es handelt sich dabei weder um Einbruch noch um systematischen Kunstdiebstahl, sondern vor allem um einen toxischen Mix aus alkoholgetrübtem Urteilsvermögen und Gruppendynamik. Am 3. November 2018 fand in der Nordbahnhalle im 2. Bezirk bereits zum zweiten Mal das Art Attech statt, ein Event, das Technoparty und Kunstvernissage miteinander vereint. Hier geht es also nicht um den Verkauf wie bei anderen hippen Events à la Feschmarkt, sondern tatsächlich um die Ausstellung von Kunstwerken, an deren Anblick man sich, begleitet vom unerbittlichen Wummern der Techno-Beats erfreuen kann.
Die Veranstaltungsreihe gibt also junger Kunst eine Plattform und ihrem Zielpublikum gleichzeitig die Möglichkeit, die Kunstwerke in einer ungezwungeneren, gelösten Atmosphäre zu erleben. Und weil wohl niemand damit rechnen würde, dass sich jemand bei einer Vernissage an den Kunstwerken vergreift, trifft auch das junge Veranstalterkollektiv keine Schuld für das, was folgte, nachdem Gloria um zwei Uhr die Party verließ. Nach ihrem Abgang bedienten sich einige Partygäste nämlich fröhlich an den ausgestellten Gips-Vulven. Dafür, dass der Vulva nach wie vor ein sprachliches und gesellschaftliches Tabu anhaftet, sind die Berührungsängste mit ihr also erstaunlich gering. Als die Veranstalter bemerkten, dass die Zahl der Vulven immer mysteriöser Weise abnahm, hängten sie die übriggeblieben zwar sofort ab. Aber als Gloria ihre Kunstwerke zwei Tage später abholte, fehlten stolze 26 Stück von 44 ausgestellten.
Eine fremde Vulva in der Tasche
Das ist nicht nur ärgerlich für Gloria und die Veranstalter, das ist auch ziemlich creepy, bedenkt man, dass es sich dabei um Abdrücke von echten Vulven handelt. Wenn ich wüsste, dass irgendwo ein Wildfremder mit dem Abdruck meiner südlichen Region in der Tasche herumrennt, würde mich das schon ziemlich wurmen. Glorias Models nehmen’s aber durchwegs gelassen. „Einige haben sich sogar gemeldet und gemeint, sie würden sofort wieder einen Abdruck bei mir machen“, sagt sie, als wir miteinander telefonieren. Ärgerlich ist diese Aktion aber vor allem auch deshalb, weil sie so gänzlich an dem Sinn von Glorias Projekt vorbeigeht. Ihre Gipsvulven sind nämlich naturgemäß unverkäuflich. Einen Abdruck bekommt das jeweilige Model, einen Abdruck behält sie selbst, damit sie ihn mit dem Einverständnis des Models ausstellen kann. Dabei geht es nicht um die Kohle, sondern allein ums Sichtbarmachen. Bei ihrer Aktion haben die Vulva-Diebe die Vulva also nicht nur zum Konsumgut degradiert, sondern auch noch dazu zu einem Konsumgut, das zur freien Entnahme steht.
Würden die Leute auch Penisse klauen?
Klingt drastisch, ist vielleicht auch so. Auch Gloria postet, als sie sich des Diebstahls bewusst wird, einen ähnlich drastischen Aufruf auf Faceboook:
Da stellt sich doch die Frage: Hätte man sich an den Abdrücken auch so frei bedient, wären es Penisse gewesen? Gloria und ich sind uns einig: Ja, wahrscheinlich schon. Der Vulvendiebstahl selbst ist wohl kaum auf das unterschwellig die Hände reibende Patriarchat zurückzuführen als auf schlichte, der Partystimmung geschuldete Dreistigkeit. Das zeigen auch die Reaktionen, die Gloria seit Tagen auf ihren Aufruf erhält. „Man merkt schon, dass die meisten peinlich berührt sind, weil sie sich haben mitreißen lassen“, sagt sie. Einige Diebe haben sich bereits selbst gestellt und verschämt gestanden, dass sich eine fremde Vulva in ihrem Besitz befindet. Muss ziemlich schräg sein, so etwas offen auszusprechen.
Zwei Vulvenentführer hat Gloria auch selbst über Instagram aufgespürt, weil ein Dritter sie bei Gloria verpfiffen hat. Ein weiterer beteuerte, dass die Vulva bereits am Boden lag, als er sie „als Erinnerung an einen guten Rave“ mitgehen ließ. Die mehrheitliche Rechtfertigung: Man dachte, die Stücke seien gratis. Anderen Aussteller wurden allerdings nicht beklaut. „Ein Teil des Problems ist wahrscheinlich auch auf die Größe der Kunstwerke zurückzuführen und darauf, dass sie in greifbarer Nähe gehangen sind“, vermutet Philip Pruckner, einer der Veranstalter. „Eine Vulva in Gipsabdruckgröße ist leider schnell eingesteckt. Bei einem Bild ist das schon schwieriger.“ Das leuchtet natürlich irgendwie ein. Doch auch wenn der Vulvenschwund an sich kein genderpolitisches Statement darstellt, eignet er sich doch bitterer Weise als ziemlich starke Metapher für den Umgang mit dem weiblichen Körper.
Ehrliche Diebe
Die Reaktionen auf Glorias Aufruf zeigen sich aber überwiegend reuevoll, und beteuern vor allem absoluten Respekt vor dem weiblichen Geschlecht. „Ich finde es schön, dass die Leute wenigstens so ehrlich sind und ihren Fehler offen eingestehen“, findet Philip. Und das finden wir auch. Fehler können nun einmal passieren, auch wenn das bedeutet, dass man mal eine Gips-Vulva mitgehen lässt. Trotzdem werden die Veranstalter beim nächsten Event darauf reagieren und die Kunstwerke verstärkt im Auge behalten, damit so etwas garantiert nicht mehr passiert. Außerdem kommt hinzu, dass die diesmalige Veranstaltung eine Kooperation mit einem zweiten Veranstalter war und daher auch einige Gäste dabei waren, die nicht unbedingt das Zielpublikum von Art Attech sind. Schade eigentlich, findet auch Philip: „Das war ja eigentlich genau das Schöne, weil wir auch einem Publikum, das vielleicht weniger mit Kunst anfangen kann, einen neuen Zugang dazu bieten wollen.“ Dennoch haben die Veranstalter beschlossen, ihre Events in Zukunft solo zu veranstalten. So weiß zumindest jeder, worauf er sich einlässt.
Mittlerweile haben bereits vier verschollene Vulven den Weg zurück zu Gloria gefunden. Leider nicht mehr in ihrem Urzustand, sondern mehrheitlich verschmutzt. Und das, wo man doch heute verstärkt bemüht ist, die Vulva von ihrem schmutzigen Image zu befreien. Gloria hat sich zwar zuerst über die Fladerei geärgert, nimmt’s aber mittlerweile mit Humor: „So haben die Abdrücke eben eine Geschichte. Vielleicht kann man ja sogar etwas Eigenes mit ihnen machen und sie irgendwo ausstellen – als Diebesgut.“ Sie lacht am anderen Ende des Telefons. „Ich ziehe meine Hut vor Gloria, dass sie so offen mit dem Ganzen umgeht“, sagt Philip. Außerdem haben bereits einige Frauen, die sich eine Vulva eingesteckt hatten, großes Interesse daran bekundet, sich ihre eigene von Gloria abbilden zu lassen. Die ganze Sache beweist also einmal mehr, dass trotz all der Tabuisierung eine große Faszination vom weiblichen Geschlecht ausgeht und vielleicht einfach ein bisschen öfter und offener darüber gesprochen werden muss. Und was ist offener als: „Hey, hast du meine Gips-Vulven geklaut?“
Anreiz für den Rest
16 davon sind übrigens immer noch verschollen. Für jede von ihnen, die zu Gloria zurückfindet, sind die Veranstalter bereit, eine Freikarte für das nächste Art Attech springen zu lassen. Nicht ohne ein ernstes Wörtchen mit den Dieben natürlich, denn angespornt zu künftigen Langfingeraktionen soll sich dadurch natürlich keiner fühlen. Also, liebe Vulva-Diebe da draußen: Seid doch bitte so lieb und gebt die Vulva, die euch nicht gehört, zurück. Wow, wann kommt man schon einmal dazu, so etwas zu schreiben?
Ihr seid total für den offenen Umgang mit eurem Körper? Dann fühlt ihr euch auf der Sex Positive Party von hausgemacht sicher wohl. Am liebsten würdet ihr jetzt schnell das Thema wechseln? Dann lasst euch von uns in Weihnachtsstimmung bringen.
(c) Beitragsbild | Gloria Dimmel
(c) Facebook-Bild | Jan Kleinert | Unsplash