Wie es wirklich ist, in Kitzbühel aufzuwachsen
Der Ort der Reichen und Schönen. Kitzbühel ist bekannt fürs Hahnenkamm-Rennen, Hansi Hinterseer, Elena Wolff und sonst gar nichts, um eine meiner liebsten Kabarettistinnen zu zitieren. Die sagenumwobene Streif, der Aufmarsch des personifizierten Geldes und jede Menge Aprés-Ski – all das wird schnell mit Kitzbühel assoziiert. Wenn man selbst in diesem pittoresken Alpenkaff aufwächst, ist die Erfahrung jedoch etwas anders.
„Das Aspen der Alpen“ heißt es über Kitzbühel in der Netflix-Serie „Kitz“. Als Otto-Normal-Mensch, der dort aufgewachsen ist, war diese Serie übrigens doch etwas überraschend. Denn viele der gezeigten Orte, wie etwa die Nobelhotels und der Countryclub, sieht man als ortsansässige Person nie von innen. Außerdem sprechen Tiroler*innen im wirklichen Leben nur sehr selten in schönstem Burgtheater-Deutsch. Wie es so oft mit Filmproduktionen ist, deckt sich das Bild, dass die Serie von Kitzbühel zeichnet, nur wenig mit der eigenen Realität. Deshalb hier ein paar Einblicke in persönliche Erfahrungen – ganz ohne Gewähr auf allgemeine Richtigkeit.
Das Phrasenschwein grunzt täglich
Viele Menschen vom Land haben das Problem, dass niemand die Ortschaften kennt, aus denen sie kommen. Wer in Kitzbühel aufwächst, dem passiert das eher selten. Stattdessen kann man sich auf das Phrasenschwein freuen, wenn man von seiner Herkunft erzählt. „Oh, dann bist du sicher sehr reich?“ ist wirklich der häufigste Satz, den man zu hören bekommt. Natürlich ist dieses Klischee Blödsinn, denn viele Einheimische lebten schon in Kitzbühel, bevor die Grundpreise ins Unermessliche stiegen. „Dann fährst du sicher gerne Ski?“ ist der zweitbeliebteste Satz. Als jemand, der schon als Kind keine Freude daran hatte, auf zwei schmalen Brettern einen vereisten Berg runterzusegeln, kann man sich in diesem Moment auf ungläubige Gesichter voller barem Entsetzen gefasst machen. Denn wer aus Kitzbühel ist, hat nun einmal Ski zu fahren.
Geld regiert die Köpfe
Ganz falsch sind die Klischees aber auch wieder nicht. Natürlich sind die meisten Menschen eh so wie überall sonst, aber manche lassen sich doch von all dem Glitzer beeinflussen. Generell ist die Quote an besitzreichen Leuten schon um einiges höher als woanders und das spürt man auch. In meiner Schulzeit waren Markenklamotten ein großes Thema und Chanel-Handtaschen bei 14-Jährigen definitiv möglich. Eine andere Sache waren die Urlaube. Wenn manche Klassenkamerad*innen innerhalb eines Jahres auf die Malediven fliegen, nach Thailand jetten und nebenher noch eine Norwegen-Kreuzfahrt und einen New-York-Urlaub genießen, dann sticht man schon etwas heraus, wenn man mit zwölf Jahren zum ersten Mal fliegt und sonst nur in Slowenien war. Meine Kindheit ist aber auch schon wieder ein paar Jährchen her. Wer weiß? Vielleicht ist die nachkommende Generation weniger materialistisch.
Bling Bling beim Metzger
In Kitzbühel aufzuwachsen, brachte vor allem eines mit sich: stetige Veränderung. Der Metzger in der Innenstadt, bei dem man mit sechs Jahren immer ein Stück Bärenwurst bekam, ist heute ein Superdry-Store. Das einzige Fortgeh-Lokal, in dem man in Jeans und T-Shirt tanzen und bis morgens versacken konnte, ist jetzt ein Juwelier. Aus einer kleinen lokalen Boutique wurde ein Chanel-Geschäft. Eine traditionelle Pizzeria ersetzte ein Nobel-Zahnarzt. Blöd ist dann halt nur, wenn sich das eigene Gehalt nicht mitverändert. Als Normalo in Kitzbühel zu wohnen, ist ein bisschen, wie wenn man an einem endlos langen Buffet vorbeispaziert, von dem man sich nichts nehmen darf. Tatsächlich fahren die meisten zum Einkaufen nach Wörgl, Kufstein oder Innsbruck. Kitzbühel ist eine Stadt voller Geschäfte, in denen man nichts kaufen kann. Zumindest nicht ohne zumindest eine Hypothek aufzunehmen oder sein Erstgeborenes zu opfern.
Ebbe und Flut
Wer bei Kitzbühel an eine Flut von glamourösen Partys an jedem Tag der Woche denkt, sollte vielleicht eher nach Berlin fahren. Denn auch wenn viele meinen, dass es der Alpen-Feierhotspot schlechthin ist, zeichnet die Realität doch ein anderes Bild. Sollte jemand von euch daran zweifeln, dann versucht doch mal, während der Zwischensaison in Kitzbühel eine Party zu finden. Einige Lokale schließen sogar über Monate hinweg ihre Türen, bis wieder touristischer Andrang herrscht. Es existieren in Kitzbühel sogar ganze Viertel, in denen monatelang unbewohnte Häuser mit automatisiertem Licht stehen – ein bisschen wie in „Kevin – allein zu Haus“. Einen starken Kontrast dazu bietet etwa das Hahnenkammrennen, für das in das 8.000-Seelen-Örtchen etwa 100.000 Besucher*innen gepresst werden. Ähnlich sieht es im August aus, denn da findet der Kitzbüheler Jahrmarkt statt, weshalb sich der halbe 19. Wiener Bezirk zur Tiroler Version des Oktoberfestes einfindet. Als einheimische Person schmeißt man dann gerne den Fußmercedes an, denn die einzige Durchfahrtsstraße in Kitzbühel erinnert während solcher Stoßzeiten sehr an einen Parkplatz.
Vergoldetes Bier und enges Wohnen
In punkto Party gibt es aber noch einen weiteren Stolperstein. Wenn man mit 16 Jahren gerade am Beginn der nächtlichen Eskapaden steht, sitzt man in Kitzbühel sehr schnell auf dem Trockenen. Ein Bier kostet in manchen Lokalen sechs Euro, ein Longdrink gerne mal 14 Euro. Auch mit Mitte 20 ist mir das immer noch zu teuer. Außerdem ist wie erwähnt das meiste Jahr Ebbe, was Partypeople betrifft. Fortgehen in jungen Jahren war in Kitzbühel geprägt von langen Fahrten – nach Kirchberg, Westendorf, Wörgl und Innsbruck. Sobald der Führerschein in Sichtweite war, meldete ich mich freiwillig als Fahrerin. Immerhin lernte ich so, dass auch nüchternes Weggehen spaßig sein kann.
Ein anderes Thema ist die Musik. Wo Wiener Freund*innen von mir heute noch beherzt mitgröhlen können, kann ich nach Jahren der Aprés-Ski-Beschallung nur noch den Kopf schütteln. Ich bin momentan ein einziges „Skiiiiifoahn ist das Leiwandste“ davon entfernt, mir gepflegt einen Skistock ins Ohr zu rammen. Übrigens geht es nach dem Feiern in Kitzbühel nur selten ab in die eigene Wohnung. Mit 18 von zu Hause ausziehen, kann sich kaum jemand leisten. Bei rund 13.000 Euro pro Quadratmeter für eine Wohnung und 32.000 Euro pro Quadratmeter für ein Haus auch nicht wirklich verwunderlich.
Das Hollywood der Alpen
Unter den Schönen und Reichen, die es nach Kitzbühel zieht, befinden sich natürlich auch Stars und Sternchen. Als ortansässige Person sitzt man im Café neben Arabella Kiesbauer, steht beim Hahnenkammrennen neben David Alaba und trifft Arnold Schwarzenegger beim Stadtspaziergang. So glamourös das klingen mag, so unspannend fühlt es sich in Wirklichkeit an. Vor allem sind Kitzbüheler*innen sehr gewöhnt an Dreharbeiten – der Bergdoktor, Soko Kitzbühel und auch Netflix. Aber auch so ein Drehort ist nur auf den ersten Blick aufregend. Auf den zweiten Blick ist man eher genervt, dass das angepeilte Lokal wegen eines Drehs aktuell geschlossen ist.
Aufwachsen im Alpenparadies
Neben all der Suderei noch etwas Positives: Kitzbühel ist wunderschön. Dort aufzuwachsen ist auch trotz des teuren Bieres und der Nobelgeschäfte ein Privileg. Täglich inmitten der Alpen zu stehen, für die andere stundenlange Fahrten und Unsummen in Kauf nehmen, ist schon etwas sehr Besonderes. Neben traumhaften Wanderwegen und fabelhaften Pisten liegt hier der Blick auf den imposanten Wilden Kaiser direkt vor der Haustüre. Die vielen Tourist*innen bewirken auch, dass Kitzbühel sich für ein kleines Alpenstädtchen ein großartiges Kulturprogramm leisten kann, wie etwa mit seinem jährlichen Filmfestival und anderen tollen Veranstaltungen. Auch wenn mein Leben mittlerweile berufsbedingt in Wien stattfindet, würde ich meine Kindheit in diesem Ort nicht missen wollen. Und wo sonst findet man neben der berühmtesten Abfahrtsstrecke der Welt noch ein Krampusmuseum? Egal ob man auf Skiern, Wandertretern oder Eislaufschuhen unterwegs ist, es geht am Ende nur darum, mit den Füßen fest auf dem Boden zu bleiben und sich an diesem Ort und seiner Schönheit würdig zu erfreuen.
Jetzt wollt ihr euch selbst von Kitzbühels Charme überzeugen? Wir verraten euch, was ihr abseits von Wintersport noch so in Kitzbühel erleben könnt. Außerdem haben wir ein paar Dinge für euch, die ihr sicher kennt, wenn ihr in Tirol aufgewachsen seid.
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