Wir haben mit den Vienna Vanguards Quidditch gespielt
Quidditch – wer dabei gleich an Zauberstäbe und fliegende Besen denkt, hat zwar nicht unrecht. Aber beim Quidditch-Training im echten Leben ist eine Harry-Potter-Verkleidung dennoch fehl am Rasenplatz. Wir haben uns mal angesehen, wie das echte Quidditch funktioniert. Und wer weiß, vielleicht sind wir ja doch auf einem Besen durch die Luft geflogen. Aber lest am besten selbst.
DISCLAIMER (August 2022): Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2018. Um sich von der „Harry Potter“-Autorin J.K. Rowling und ihren transfeindlichen Aussagen zu distanzieren, hat die IQA (International Quadball Association) vor Kurzem die Namensänderung von Quidditch zu Quadball beschlossen. Seit der Veröffentlichung des Artikels hat das österreichische Nationalteam bei der Europameisterschaft im Juli 2022 den 6. Platz belegt, das bisher beste internationale Ergebnis für Österreich.
„Wingardium Leviosa! Wingardium Leviosaaa! Wiiiingardium Leviosa!“ Mit einem selbst abgerissenen Ast als Zauberstab und einer Blitznarbe, die ich mir mit Mutterns Lipliner auf die Stirn gemalt habe, habe ich dank Harry Potter und seinen zaubernden Freunden nicht nur einmal versucht, unbewegliche Gegenstände zum Schweben zu bringen. Das Ganze ging sogar so weit, dass mir meine Schwester zum 21. Geburtstag einen Zauberstab schenkte, mit dem man den Fernseher ein- und ausschalten kann. Der Traum für einen Zauberfreak wie mich. Leider aber auch der Albtraum, da spätestens mit diesem Gadget klar wurde, dass die Briefeule mit meinem Hogwartsbrief nicht abgestürzt ist, sondern es nie eine Einladung in die Zauberschule gab. Denn wer es nicht einmal schafft, mit einem elektronischen Zauberstab den Fernseher zu bedienen, ohne hysterische Wutanfälle zu bekommen, der ist es nicht wert, sich unter den sprechenden Hut zu setzen. Ich bin eben einfach ein Muggel. Dachte ich. Bis vor ein paar Wochen. Da durfte ich nämlich mit Österreichs erstem Quidditch-Team trainieren und fühlte sie plötzlich doch, die Magie.
Welcome to Vienna Vanguards
Ich treffe die Vanguards auf der Jesuitenwiese beim Training. Insgeheim bin ich etwas enttäuscht, dass das Einzige, das hier an Quidditch erinnert, erst mal die kreisförmigen Tore sind, durch die später die Bälle schmettern werden. Irgendwie habe ich wohl mit Zaubererumhängen und spitzen Hüten gerechnet. Fehlanzeige. Gut, dass ich meinen Hufflepuff-Schal (ja, richtig gelesen, Gryffindor-Who?) in letzter Minute doch zuhause gelassen habe. Die Vanguards tragen einheitliche Trikots mit Nummern wie ein ganz normales Sportteam. Und auch ihre Aufwärmübungen lassen mich immer wieder vergessen, dass ich heute Quidditch spiele. Ich fühle mich eher wie in einem USI-Kurs. Das bieten die Vanguards im Sommersemester übrigens auch an. Im Winter ist es dafür zu kalt. Da trainieren nur die hartgesottenen Vereinsmitglieder im Prater – bei Wind und Wetter.
Quidditch ohne Zauberhüte
Übertriebenes Harry-Potter-Fandom ist hier also fehl am Rasen. „Ich selbst bin auch kein so großer Harry Potter Fan, dass ich die Regeln aus den Büchern oder den Filmen wüsste“, erzählt mir Anita von den Vanguards. „Man hat natürlich Harry Potter als Vorlage genommen, das Ganze aber als reale Sportart adaptiert.“ Das leuchtet ein. Manche Dinge aus dem Film sind in Wirklichkeit nicht machbar. Wie fliegen zum Beispiel. Denn meine letzte Hoffnung, dass wir hier doch alle physikalischen Gesetzmäßigkeiten überlisten und auf Hexenbesen dahinreiten werden, stirbt, als ich sehe, dass die Besen hier schlicht und einfach PVC-Stangen sind.
Eine Mischung aus Rugby, Handball und Dodgeball
Als ich endgültig realisiert habe, dass ich es hier mit einer ernsten, toughen Sportart zu tun habe und nicht mit einer Fan-Konvention, kommt die Ernüchterung: Ich habe keine Ahnung, was auf mich zukommt. Immerhin sieht Quidditch schon in den Filmen verdammt kompliziert aus – und da müssen die Athleten nicht mal laufen! „Quidditch vereint Elemente aus Rugby, Handball und Dodgeball“, sagt Anita. Na toll, kommt es mir, gleich drei Sportarten auf einmal, bei denen man mich in Turnen wahrscheinlich als Letzte wählen würde. Diese unterschiedlichen Elemente variieren je nach Position, die man spielt. Ist man etwa ein Chaser, also einer, der fürs Toreschießen verantwortlich ist, hat man viele Handball-Moves dabei. Die Beater, die mit den Bludgern, also den anderen Bällen, die Chaser abschießen, bringen das Dodgeball-Element hinein. Und an Rugby erinnert vor allem der Vollkontakt, also dass man sich gegenseitig wegtacklen kann. Verwirrt? Verständlich. Auch Anita brauchte am Anfang erst einmal ungefähr ein halbes Jahr, um die Regeln voll und ganz zu durchsteigen.
Grob zusammengefasst sieht das Spiel so aus: Die Chaser stürmen auf die gegenüberliegenden Tore und die Beater der anderen Mannschaft versuchen sie aufzuhalten, indem sie sie abschießen. Sobald man abgeschossen ist, muss man vom PVC-Besen steigen, zu den eigenen Ringen zurücklaufen und sie berühren, bevor man wieder aufsteigen darf. Auch bezüglich Gleichstellung und Inklusion gibt es beim Quidditch eine Regel: Die Teams sind gemischt. Eigentlich dürfen von einer Mannschaft sogar nur maximal vier Menschen des selben Geschlechts auf dem Spielfeld sein. Dabei geht es aber nicht um das biologische Geschlecht, sondern um das Geschlecht, mit dem man sich identifiziert. Damit fördert Quidditch als eine der wenigen Sportarten aktiv die Inklusion aller Menschen, auch jener außerhalb binärer Geschlechterkategorien.
Vollkontakt mit voller Technik
Während mir die restlichen Spielregeln erklärt werden, mache ich mir allmählich Sorgen, weil ich irgendwo das Wort „Tacklen“ gehört habe. Und auch als die ersten Spieler einen Mundschutz anlegen, wird mir flau. Dann erinnere ich mich auch noch daran, dass Quidditch in den Filmen ja alles andere als soft gespielt wird. Knieschützer und Sicherheitsnetz? Fehlanzeige. Um das Ausmaß meiner Panik zu begreifen, muss man wissen, dass mein Körper laut eigener Schätzung nur zu 10 Prozent aus Muskeln besteht, und über die habe ich eigentlich keine Kontrolle. Zum Glück geht’s aber auf der Jesuitenwiese noch nicht gleich ans Eingemachte. Vorher machen wir noch ein paar Technik-Übungen. Die Anfänger – neben mir sind noch zwei andere Neugierige schnuppern – lernen erst mal das Tacklen. „Eure Schulter muss auf gleicher Höhe sein mit meinem Po“, erklärt Andrea, die uns den Vollkontakt beibringt. „Und dann schiebt ihr mich mit voller Kraft aus den Beinen weg.“ Kurz überlege ich, ob ich mir an Andreas PVC-Stange vielleicht ein Auge ausstechen könnte oder Ähnliches. Aber als ich loslaufe, um sie wegzuschieben, habe ich den Besen-Faktor auch schon wieder vergessen. Es ist erstaunlich, wie schnell man sich daran gewöhnt.
Nach und nach bekomme sogar ich, die Frau ohne relevante Muskeln, den Tackle-Dreh raus. Ein bisschen Hebelwirkung, ein bisschen Rotation, und natürlich jede Menge Chuzpe, und ich bringe Andrea zumindest ein paar Meter vom Fleck. Bald merke ich aber, dass das flammende Eigenlob zu früh kommt. Denn die anderen, erfahreneren Spieler üben bereits, wie sie sich gegenseitig so effektiv aushebeln, dass sie auch mal am Boden landen. Andrea beruhigt mich: Anfänger werden weder getacklet noch müssen sie tacklen. Puh. Eine Sorge weniger.
„Brooms up!“
Sobald alle fertig eingelaufen, eingeübt und eingeworfen sind, geht’s endlich los. Die Teams werden aufgeteilt. Ich darf als Chaser mitspielen, muss mich also darauf konzentrieren, den Ball möglichst nah zu den Ringen und wenn möglich auch durchzuschießen. Nervös mache ich meinen Teamkäpitan sicherheitshalber darauf aufmerksam, dass ich wahrscheinlich keine große Bereicherung für ihn bin, weil ich, nun ja, das Spiel noch nicht ganz gecheckt habe. Er zwinkert mir aufmunternd zu. „Das wird schon, Viki, kein Problem.“
Die Chaser ziehen sich alle weiße Schweißbänder über und die Beater grüne, damit auch jeder weiß, wer welche Rolle hat. Auf der Mittellinie liegen wie beim Dodgeball die Bälle, die Mannschaften stehen vor ihren jeweiligen Toren aufgereiht und bereit. Plötzlich schreit die Schiedsrichterin: „Brooms down!“ und alle knien sich über ihren Besen. Hä? Der Kapitän erklärt mir, dass wir erst unsere Besen aufnehmen und auf die Bälle zustürmen dürfen, wenn die Schiedsrichterin „Brooms up!“ schreit. Zuerst fragt sie aber jedes Team, ob es bereit ist. „Yes!“, brüllen unsere Gegner. „Yes!“, brüllen wir zurück. Das lässt das Adrenalin schon hochschießen, so ein kollektiver Brüller. „Brooms up!“ und los geht’s.
Multitasking is a bitch
Ich renne erst einmal wie eine aufgescheuchte Henne mit meinem PVC-Besen herum, bis ich plötzlich unverhofft den Ball in Händen habe. Endlich. Ich bin voll drin. Ich muss nur zurückpassen zu… Plötzlich trifft mich ein sanfter Ball aus nächster Nähe am Rücken. Ich drehe mich um und starre verblüfft ins Gesicht eines Beaters: „Du bist ab.“ Achja, stimmt, da war ja was. Das Dodgeball-Element hatte ich schon ganz vergessen. Also laufe ich zurück zu den Ringen meiner Mannschaft, berühre sie und bin wieder ready to go. Nach einer guten Viertelstunde bin ich trotzdem schon ziemlich außer Puste. Vor allem deshalb, weil ich ständig vergesse, dass mich die gegnerische Mannschaft abschießen kann, und ich immer wieder zu den Ringen laufen muss. Eine Krux, dieses Multitasking.
Der Schnatz ist frei!
Plötzlich brodelt es auf dem Spielfeld noch mehr als ohnehin schon: Der Schnatz ist frei. Oder wie man im Quidditch sagt: Snitch. Zwei Seeker, jeweils aus einer Mannschaft, müssen ihn fangen. Wenn man, so wie ich, immer davon geträumt hat, selbst den steampunk-ähnlichen, golden-flatternden Schnatz aus den Harry-Potter-Filmen zu fangen, ist die Real-Life-Variante ein bisschen ernüchternd. Im echten Leben ist der Schnatz ein gelb oder golden angezogener Spieler, dem eine Socke mit Tennisball hinten in der Hose klemmt. Die müssen ihm die Seeker abzwacken. Das gibt 30 Punkte. Das mit den Punkten ist aber auch so eine Sache: Wenn nämlich Gleichstand herrscht, entscheidet der Snitch über den Gewinner. Wenn aber eine Mannschaft punktemäßig ohnehin schon sehr weit vorne liegt, richten die zusätzlichen 30 Punkte kaum etwas aus.
Spannender Quidditch-Herbst
Nach fast einer halben Stunde Quidditch bin ich schon ziemlich am Limit meines Lungenvolumens. Begeistert und keuchend beschließe ich, die Vanguards alleine weitertrainieren zu lassen. Ich unterstütze meine Mannschaft bei den zukünftigen Matches, indem ich sicherheitshalber nicht mitspiele und mein geballtes Anti-Talent auf meine nicht funktionierende Zauberstab-Fernbedienung konzentriere. So ist das eben in einem Team: Jeder macht das, was er am besten kann.
Wenn ihr ausprobieren wollt, ob in euch vielleicht ein ungeahnter Quidditch-Meister oder eine ungeahnte Quidditch-Meisterin schlummert, könnt ihr – sobald es die Corona-Maßnahmen wieder zulassen – einfach beim Training der Vanguards vorbeischauen. Die sind nämlich auf der Suche nach neuen Talenten. Da sich die Trainingszeiten manchmal aufgrund von Turnieren etwas ändern können, schreibt am besten vorher eine kurze Mail oder nehmt über Social Media Kontakt auf. Zurzeit finden dienstags, donnerstags und samstags Online-Work-outs statt.
Ihr wollt mehr ausgefallene Sportarten von uns? Dann lest euch durch, wie wir uns beim Schwertkämpfen im Augarten angestellt haben.