Wir waren beim ersten Queer Dance im Gemeindebau
Am 10. November 2018 fand der erste Queer Dance im Gemeindebau in Simmering statt. Als selbst gebürtige Simmeringerin weiß ich aus Erfahrung, dass den meisten Leuten nicht als Erstes “Queer” in den Sinn kommt, wenn man ihnen vom Leben im Randbezirk erzählt. Doch der erste Queer Dance hat bewiesen, dass der Gemeindebau bunt sein kann wie der Regenbogen – und das ist gut so!
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel stammt aus dem Jahr 2018. Queer Dances im Gemeindebau finden inzwischen immer mal wieder statt. Im Juni 2022 hat der Verein Queer Dance im Gemeindebau allerdings ein anderes Projekt im Angebot: Die Ausstellung Queer Moments in Lost Places von Kunstfotografin Barbara Essl zeigt im Simmeringer Amtshaus Fotos von queeren Szenen vor der Kulisse von verlassenen oder historischen Orten im 11. Bezirk. Von 1. bis 24 Juni 2022 ist die Ausstellung von 8 bis 19 Uhr frei zugänglich.
Ich bin einigermaßen froh, dass meine Tanzpartnerin Kathi und ich uns darauf geeinigt haben, dass sie vorerst mal die Führung übernimmt. Denn wir starten mit einem Boogie, von dem ich kaum noch mehr als den Grundschritt beherrsche. Nach einigem Hin und Her haben wir beide allerdings den Flow raus. Ich in Jeans und weißen Sneakers, sie in Cocktailkleid und Heels. Wir beide würden wohl nicht dem strengen Dresscode der Tanzschule Elmayer entsprechen, die ich als 16-Jährige, brav der Familientradition folgend, zu besuchen hatte. Diese Art von Zwangskonformität wäre hier aber ohnehin deutlich fehl am Platz, beim ersten queeren Tanzabend im Simmeringer Gemeindebau am 10. November 2018. Übrigens genauso fehl am Platz wie andere Klischeestempel: Lokalpolitiker*in und Gemeindebau-Bewohner*in, Männer und Frauen, lesbisch, bi, schwul oder hetero – all diese Labels lässt man hier vor der bunt geschmückten Tür der SoHo Simmering, die diesen Abend ausrichtet.
Erstes Beschnuppern
Als ich vor dem Vereinslokal ankomme, quatsche ich mich nervös in die Gruppe Umstehender und lerne gleich mal die Tanzlehrerin des Abends kennen: Karin Erhart. Lässig smalltalken wir bei einer gemeinsamen Zigarette über den bevorstehenden Workshop und meine Nervosität sinkt maßgeblich. Karin mit ihren kurzen, grauen Haaren, in Karohemd, Jeans und flachen Schuhen lässt meine fieberhaften Dresscode-Überlegungen von zu Hause sofort verpuffen. Gute Entscheidung, die Sneakers, denke ich mir erleichtert.
Karin ist schon ziemlich gespannt auf den Abend, erzählt sie mir grinsend, da sie die Workshops ihrer Frauentanzgruppe „Resisdanse“ sonst eher in Lokalen wie dem Gugg, dem Vereinszentrum der HOSI Wien, ausrichtet. Gemeindebau-Tanzen ist auch für sie das erste Mal. Trotz Event-Premiere herrscht aber durchwegs lässige Stimmung. Man kennt sich hier. Und als ich den Veranstaltungsraum betrete, treffe ich ebenfalls auf zwei bekannte Gesichter: Verena, mit der ich in Simmering jahrelang gemeinsam die Schulbank gedrückt habe, und ihre Partnerin Kathi. Nach der freudig überraschten Begrüßung bemerke ich den Fotoapparat um Verenas Hals. Sie ist also die Event-Fotografin des Abends. Und schon schwenkt mein Blick auf Kathi. Sie wird meine Tanzpartnerin, ob sie will oder nicht. Sie will. Das macht das Ganze deutlich angenehmer für uns beide.
Traut’s euch!
Schon klatscht Tanzlehrerin Karin vorne auf der Tanzfläche des länglichen Raums in die Hände und eröffnet den Workshop. „Na kommt’s, traut’s euch!“ Ein paar Tanzpaare bahnen sich vorsichtig den Weg zwischen Hellholz-Tischen und Regenbogenfahnen nach vorne. Längst nicht alle der Anwesenden machen mit. Die meisten bleiben lieber sitzen und schauen zu. Macht nichts – die kleine Tanzfläche würde einem Massenandrang ohnehin kaum standhalten. Schließlich finden sich aber doch ein paar tanzwillige Paare: ein paar Männer und Frauen, ein Frauenpaar, zwei befreundete Seniorinnen und Kathi und ich. Im Laufe des Workshops werden noch einige Paare dazukommen, andere werden vorläufig das PVC-Parkett verlassen. Ganz locker eben.
Zuerst das Wesentliche: Die Paare müssen entscheiden, wer führt. Hier gibt’s logischerweise nicht die verstaubte Einteilung in „führender Mann“ und „folgende Dame“. Die Führenden stellen sich auf der einen Seite des Raumes auf, die Folgenden auf der anderen. Wir starten mit einem Boogie. Karin erklärt zuerst einmal den Grundschritt: „Seit, Seit, Platz, Platz, Seit, Seit.“ Ein kleiner Elmayer-Flashback meinerseits. Den Grundschritt habe ich erstaunlicher Weise doch noch einigermaßen drauf. Dann holt Karin ihre Vorzeige-Tanzpartnerin dazu, ebenfalls mit dem Namen Karin. Sie nehmen professionelle Tanzhaltung ein und drehen sich so, dass die Folgenden der folgenden Karin über die Schulter schauen, die Führenden der führenden Karin. Ein paar Mal trippeln wir mit auf die Füße gesenktem Blick die Schritte nach und dann geht’s auch schon richtig los.
Führen und folgen
Kathi und ich schunkeln ein paar Mal hin und her, am Anfang noch etwas schüchtern, dann immer mutiger. Angesichts der Tatsache, dass ich das letzte Mal in der Tanzschule Elmayer Paartranz betrieben habe, ist es anfangs doch etwas ungewohnt, dass mir jetzt nicht ein verschwitzter 16-Jähriger in Anzug und weißen Handschuhen gegenübersteht, sondern eine junge Frau mit langem, rotem Haar. Rückblickend ist mir die aktuelle Version allerdings deutlich angenehmer. Schließlich dreht Karin das erste Mal die Musik auf und wir bemühen uns, den Takt zu halten. Natürlich längst nicht so gekonnt wie die beiden Karins es uns vorgezeigt haben.
Später erzählt mir Karin mit dem Karohemd, dass auch sie in ihrer Jugend von ihrer Familie zur Tanzschule Elmayer geschickt wurde. Anders als ich kleiner Streber hat sie aber bereits nach drei Tanzstunden dort beschlossen, dass ihr das Ganze „zu steif“ ist, und saß die Zeit stattdessen lieber im Café Bräunerhof gegenüber ab. So richtig zum Tanzen kam sie erst Jahre später, als sie in einem Kaffeehaus zufällig den Aushang einer Frauentanzgruppe fand. „Wenn du mir damals, Ende der 80er, gesagt hättest, dass ich einmal Turniertanzen oder unterrichten werde, hätte ich das sicher nicht geglaubt“, sagt sie und lacht. Gekommen ist es dann aber doch so: Sie fuhr mit ihrer Gruppe auf internationale, gleichgeschlechtliche Tanzturniere. Die fanden damals vornehmlich in Holland, Deutschland und England statt. Mittlerweile gibt es sie sogar schon einmal im Jahr in Wien. 17 verschiedene Nationen waren vergangenen Oktober mit Männer- und Frauenpaaren in unterschiedlichen Tanzklassen am Start.
Und dann war da auch noch Elvis…
So weit sind Kathi und ich allerdings noch längst nicht. Einige Simmeringer Realness mischt uns auf, als Elvis-Imitator Stefan Janka sich hinters Mikrofon stellt und – wenig überraschend – Elvis-Hadern zum Besten gibt. Etwas enttäuscht bin ich schon, dass er weder weiße Glockenhosen noch eine Rockabilly-Perücke trägt. Aber sein blau glitzernder Blazer und seine Bootcut-Jeans sind für diesen Anlass auch ausreichend stilecht. Janka ist fast so etwas wie der Superheld von Simmering: Tagsüber bekämpft er als Polizeibeamter Verbrechen und nachts die Langeweile. Mit erstaunlich Elvis-ähnlicher Stimme, Gitarre um den Hals und Restmusik aus der Büchse begleitet er unser vorsichtiges Navigieren über die Tanzfläche.
Dann ist auch schon wieder Schluss mit Elvis. Vorerst. Denn ein neuer Tanz steht an: Foxtrott. Jetzt bin ich endgültig aufgeschmissen. Weil ich aber neugierig bin, wie es sich anfühlt, beim Tanzen zu führen, wechseln Kathi und ich die Rollen. Mit „lang, lang, kurz, kurz, lang, lang“ schweben die beiden Karins zwischen unseren unsicheren Blicken zickzack-förmig über den Tanzboden. Sieht nicht so schwer aus. Ist es aber. Die Herausforderung dabei ist nämlich, die anderen Paare nicht unabsichtlich niederzuwresteln, während man sich quer durch den Raum bewegt. „Der Führende muss navigieren“, sagt Karin und sieht mich dabei direkt an. Botschaft angekommen. Das ist allerdings die größte Herausforderung seit Langem für mich: Sobald ich die Schritte raushabe, klebe ich mit meiner Rückseite am Ellenbogen eines anderen Führenden. Sobald ich es schaffe, uns einmal ohne Vollkontakt mit anderen Paaren über die Tanzfläche zu schleusen, bin ich aus dem Takt und starre wie ein Teenager auf dem ersten Schulball peinlich berührt auf meine Füße.
Selbstbewusstes Foxtrotten
Als Karin dann aber einen Foxtrott auflegt, den ich von irgendwoher kenne, geht mir plötzlich der Knopf auf. Immer selbstbewusster marschieren Kathi und ich dahin, und am Ende des Liedes sind wir nur zweimal fast mit einem anderen Paar kollidiert. Ein voller Erfolg! Die Sache mit dem Führen erinnert mich stark an meine ersten Fahrstunden, als ich zuerst zaghaft mit Tempo 20 durch Wien gezuckelt bin und mir schließlich doch bewusst wurde, dass ich nun aktiv das Steuer – oder Lenkrad – in der Hand habe. Wiedermal eine Lektion in Sachen Selbstbewusstsein also. Nach einer Stunde Tanzen im aufgeheizten Gemeindebau-Lokal sind wir aber doch alle einigermaßen erleichtert, als Fake-Elvis die Tanzfläche wieder übernimmt. Inzwischen haben sich auch die Tische fast vollends gefüllt mit Neugierigen jeden Alters und Geschlechts. Bunt wie der Regenbogen an der Wand, denke ich mir. Klingt kitschig, trifft’s aber ganz gut.
Bei Bier und Spritzwein lassen Karin und ich den Abend Revue passieren. Sie ist sichtlich zufrieden. Die Frauentanzgruppe „Resisdanse“ wurde von drei jungen Frauen in den 80ern gegründet, erzählt sie mir, und sehr bald nach der offiziellen Vereinsgründung 1998 war Karin immer stärker involviert. An ungute Reaktionen auf das gleichgeschlechtliche Tanzen kann sie sich nicht erinnern: „Als Frauentanzpaare hatten wir noch nie Probleme, auch nicht im ländlichen Raum. Da war man eigentlich gewöhnt, dass Frauen zusammen tanzen, wenn die Männer nicht wollen.“ Dass ein Frauentanzpaar aber eine technisch versierte Rumba mit professioneller Haltung aufs Parkett legt, war wohl doch ein neuer Anblick für einige. „In den 90ern sind wir mit elf Frauentanzpaaren sogar auf einen normalen Ball gegangen.“ Ein bisschen Stolz liegt in Karins Stimme. „Das war für manche sicherlich anfangs schräg. Aber es gab keine ungute Stimmung.“
Offen für alle
Die Tanzworkshops von „Resisdanse“ sind fast ausschließlich für Frauen. Aber für Frauen jedes Alters und jeder Orientierung: „Wir haben Pärchen, die zusammen sind, Schwestern, Mütter mit ihren Töchtern, Arbeitskolleginnen, deren Männer nicht mit ihnen tanzen gehen wollen“, sagt Karin. Auf Anfrage richtet der Verein aber auch gerne individuelle Workshops für Männer oder gemischte Gruppen aus. Queer bedeutet für Karin nämlich, „Vielfalt, Akzeptanz, Kommunikation und Spaß. Offen sein für alle.“ Dafür ist der heutige Abend das schillernde Beispiel.
Inzwischen ist auf der Tanzfläche eine Tombola in vollem Gange, deren Erlös an SITOTA geht, eine Organisation, die sich für Bildung für Kinder in Äthiopien einsetzt. Danach ist wieder der Simmeringer Elvis an der Reihe, der sein Publikum mit Klassikern aus dem Repertoire des Originals und wiederholten Schmähs über seine Bandscheiben anheizt. Die sind dem klassischen Elvis-Hüftschwung wahrscheinlich schon überdrüssig. Macht aber nichts – dafür schwingen sich einige andere Tanzpaare erneut aufs Parkett. Danach soll noch ein weiterer Tanz-Crashkurs folgen, auf Wunsch der Teilnehmenden mit Wiener Walzer und Rumba. Aus Angst, Kathi bei meinem Wiener-Walzer-Antitalent ernsthaft zu verletzen oder mir ähnlich wie der blonde Elvis bei der Rumba die Hüfte zu verrenken, verabschiede ich mich sicherheitshalber. Bis zum nächsten Mal! (Und vorher vielleicht ein Crashkurs bei Karin.)
Ihr wollt noch mehr Reportagen? Dann lest nach, wie es unserer Redakteurin beim Quidditch im Wiener Prater ergangen ist. Außerdem findet ihr unter dem Schlagwort LGBTIQ viele Artikel über die LGBTQIA+ Szene in Wien und ganz Österreich.