„Liebes Tagebuch…“ Und schon ist man mittendrin im ganz privaten literarischen Beichtstuhl. Die Tagebuchslams beweisen von Dornbirn bis Wien, wie lustig es sein kann, einen Ausflug in die Gefühlswelt des früheren Ichs zu machen.
[dynacon-space]
Vorlesen für den Applaus
Nie hätte Veranstalterin und Moderatorin Diana Köhle gedacht, dass der Andrang zu den regelmäßig stattfindenden Tagebuch-Lesungen dermaßen groß ist. Was anfing als aberwitzige und größenwahnsinnige Idee beim Ausgehen, füllt mittlerweile österreichweit Theater-, Kino und andere Veranstaltungssäle. Der Saal im TAG in Wien beispielsweise, wo die Tagebuch Slams etwa einmal im Monat stattfinden, ist bei so gut wie jedem Termin restlos ausgebucht. Der Abend läuft so ab, dass vier Menschen Passagen von jeweils etwa fünf Minuten aus ihren originalen Tagebüchern vorlesen. Immer zwei lesen gegeneinander und das Publikum bestimmt mittels Applaus, wer in die nächste Runde aufsteigt und damit im Finale gegeneinander antritt. Im zweiten Teil des Abends dürfen aber ohnehin alle noch einmal witzige Schmankerln aus ihrem Privatjournal zum Besten geben. Die Einträge müssen mindestens fünf Jahre alt sein. Oder eben so alt, dass man über den Dingen von damals steht. Zu gewinnen gibt es unter anderem „1000 Schilling“ in Form eines Gutscheins und natürlich neue Tagebücher.
Geschichten, die das Leben schreibt
Ja, richtig gelesen, Schilling. Damit sind wir auch schon mittendrin in der Materie: Denn was an den Tagebuchslams besonders anspricht – abseits von einem unleugbaren Hang zum Voyeurismus –, sind besonders gewisse Erfahrung aus Jugend und Pubertät oder einfach aus dem Alltag, die erstaunlich laut in einem selbst räsonieren. Es geht also nicht bloß um einen Seelenstriptease völlig Fremder, nein, Identifikationspotenzial oder einfach leiwande Anekdoten gibt es reichlich, sei es die erste Liebe, das erste Mal Sex oder die Oma, die sich zu Weihnachten einen neuen Vibrator wünscht. Die besten Geschichten schreibt eben immer noch das Leben selbst.
„Mein Tagebuch, ich + …“
Zwangspause heißt nicht gleich Stillstand. Auch wenn aktuell keine Veranstaltungen stattfinden können, heißt das noch lange nicht, dass ihr auf Tagebuch Slams verzichten müsst. Seit 5. April 2021 gibt es nämlich brandneu auch einen Podcast zum Event. Bei „Mein Tagebuch, ich + …“ ist immer eine Person bei Diana Köhle zu Gast, die schon einmal beim Tagebuch Slam mitgemacht hat. Mit im Gepäck ist natürlich das Tagebuch und als Special Guest immer jeweils eine Person, die im Tagebuch vorkommt. Für Fremdscham und Lachflashs ist gesorgt. Die ersten beiden Folgen gibt es schon überall, wo es Podcasts gibt. Die erste Staffel geht noch bis 9. Mai 2021 und die Folgen erscheinen jeden Sonntag. Hört euch mal in den Trailer rein, aber Achtung – Suchtpotential!
„Verliebt. Später nicht mehr!“
Das Erfolgsformat gibt es mittlerweile auch als Buch. Beziehungsweise als Bücher. Denn Diana Köhle hat Zitate der Teilnehmer*innen gesammelt und daraus zwei Best of – Bände gebastelt, die sich hervorragend zum Schmökern und Lachen anbieten. Ihr könnt die Bücher direkt beim Holzbaum-Verlag bestellen oder im Komische Künste – Shop im Museumsquartier erstehen.
Tagebuch-Rekrutierung
Diana Köhle sucht übrigens regelmäßig nach neuen Vorlesenden. Also nutzt die Zeit bis es wieder losgeht und treibt eure alten Tagebücher auf, kratzt euren Mut zusammen und lasst euch auf der Bühne feiern. Kleiner Tipp: Wenn ihr ganz ausgekochte Schlitzohren seid, könnt ihr auch jemanden, von dem ihr wusstet, dass er oder sie früher Tagebücher geschrieben hat, verpfeifen. Bei den Veranstaltungen in Dornbirn, Feldkirch, Innsbruck, Salzburg, Baden, St. Pölten und Wien selbst geht immer ein Gästebuch herum, in das man Leute eintragen kann. Ihr habt nie Tagebuch geschrieben oder findet euer eigenes nicht mehr? Auch kein Problem. An speziellen Abenden ist es auch möglich, die Aufzeichnungen von jemandem anderen vorzulesen. Also endlich mal eine Möglichkeit, ganz öffentlich im Tagebuch der kleinen Geschwister zu schmökern.
Ihr habt noch mehr Lust auf Literatur? Dann haben wir eine der wichtigsten Buchlisten überhaupt für euch. Denn wir haben Bücher gesammelt, die der Feminismus immer noch braucht. Außerdem können wir noch eine etwas andere Form des Tagebuchs anbieten – denn wir haben ein knackiges Tamagotchi – Tagebuch für euch.
(c) Beitragsbild | David Samhaber | 1000things